Totenkönig (German Edition)
Geister von einhundert toten Kentaren in die Stadt einmarschieren würden. Patryous würde seine Entscheidung nicht gutheißen. Ihrer Meinung nach waren die Geister des Totenheers für großflächige Kriege und Feldzüge geeignet, nicht aber um einen Konflikt in der größten Stadt der Welt zu beenden. Aber Larkyen nutzte alle verfügbaren Mittel. Und die Besorgnis jener Könige, deren Länder seine Soldaten durc hquerten, scherte ihn nicht.
Jetzt übernahm Larkyen die Nachhut der Gruppe, und er sah immer wieder zurück. Meridias zeigte sich nicht. Möglicherweise fürchtete der Sohn der ersten schwarzen Sonne tatsächlich den schwarzen Stahl von Schwert und Speer. Und jene Vermutung ließ eine gewisse Genugtuung und Erleichterung in Larkyen aufkommen. Die Furcht des Feindes war etwas Gutes, und wenngleich es auch Furcht war, die so manchen Feind zur Vorsicht mahnte, so ließ sie ihn auch schwerwiegende Fehler begehen.
Eine weitere Grotte tat sich auf, die Wände waren feucht und mit Schimmelpilzen bewachsen. Stalaktiten und Stalagmiten hatten sich längst vereint und schmale Säulen gebildet. An einer Wand lehnte ein riesiges Skelett in gekrümmter Haltung. Wären die Knochen nicht so groß gewesen, hätten es die Überreste eines Menschen sein können. Sie waren längst gelb und ebenfalls mit Schimmel übersät. Große Hände mit langen Fingern umklammerten immer noch den Griff eines Schwertes, dessen pechschwarze Klinge tief in dem bre iten Brustkorb steckte und von Rippenknochen festgehalten wurde. Die Schwertspitze war am Rücken ausgetreten und hatte sich in den dahinterliegenden Stein gebohrt.
„Marityr“, flüsterte Patryous. „Wir haben ihre Überreste gefu nden. Dies ist der Ort ihres Todes, hier endete ein für die Ewigkeit bestimmtes Leben.“
„Sie starb durch ihre eigenen Hände“, flüsterte Zaira. Sie erschien winzig vor dem Skelett. Ihre Augen waren wie in einem Bann auf den Schädel fixiert, dessen knochiges Antlitz noch immer von einem Schopf langer schwarzer Haare umrahmt wurde.
Auch Larkyen betrachtete die Überreste und versuchte sich vorzustellen, wie Marityr zu Lebzeiten ausgesehen haben musste. Eine Tochter der ersten schwarzen Sonne, von gleicher Größe wie ihr einstiger Geliebter Meridias. Welche Geschichte mochte nur hinter ihnen liegen, welche Ereignisse aus frühester Zeit hatten sie erlebt? Und was hatte alles geschehen müssen, dass eine Unsterbliche ihr eigenes magisches Schwert gegen sich richtete?
Zweifellos konnte die Ewigkeit auch Einsamkeit bedeuten, doch alle Söhne und Töchter der schwarzen Sonne waren von einer inn igen Liebe zum Leben und von einer Stärke und Macht erfüllt, die oftmals als das schwarze Lebensfeuer bezeichnet worden war.
Vielleicht hatte Marityr zu viele Menschen sterben gesehen, vie lleicht hatte sie die Freuden der Menschen neidvoll betrachtet, jene Freuden, die für alle Sterblichen so besonders und wertvoll waren, weil ihre Lebenszeit nur begrenzt war. Larkyen schätzte, dass Marityr ein Mitgefühl für die Menschen entwickelt hatte, das in seiner Ausgeprägtheit unangebracht war.
„Bitte lasst uns diesen Ort so schnell wie möglich verlassen“, sa gte Khorgo. „Mich schaudert es, wenn ich die Überreste dieses Monsters fortwährend ansehen muss.“
„Es ergeht mir wie dir, Vater“, sagte Zaira. Wieder wagte sie nur zu flüstern.
Im hinteren Teil der Grotte führte der Tunnel weiter. Mit schnellen Schritten nahmen sie ihren Weg wieder auf. Das noch zuvor allgegenwärtige Rauschen des Wassers war mit zunehmender Entfernung verklungen, und eine für ihre Ohren ungewohnte Stille hatte sich der Umgebung bemächtigt. Die Wände waren trocken, ebenso die Luft.
Khorgos Fackeln waren fast allesamt erloschen. Wenn die kleiner werdende Flamme seiner letzten Fackel ausgehen würde, mussten er und Zaira sich in tiefer Dunkelheit fortbewegen. Der alte Krieger ließ seine Tochter nicht aus den Augen, immer wieder bemühte er sich, den schmalen Lichtschein ihren Schritten anzupassen.
Der Tunnel verjüngte sich. Treppenstufen, mit dem Staub der Vergangenheit gesäumt, führten nach oben. Durch Spalten im Gestein wehte ein sanfter Lufthauch. In den Wänden waren mehrere Schächte eingearbeitet, die schräg in die Ferne führten. An ihren Enden war oftmals schwaches Sonnenlicht zu erkennen.
Khorgo und Zaira atmeten erleichtert auf, als sie diese natürliche Lichtquelle sehen konnten. Kurz darauf erlosch die letzte Fackel.
Ein anderer Schacht
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