Totenkünstler (German Edition)
kennengelernt. Sie saßen zufällig im selben Gefängnis, wegen zweier völlig unterschiedlicher Vergehen, haben sich angefreundet und zusammengetan. Sie hätten jahrelang Zeit gehabt, ihren morbiden Racheplan auszubrüten.«
»Da hat sie nicht ganz unrecht«, meinte Bezirksstaatsanwalt Bradley.
»Das ist mehr als unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, wie die Opfer zugerichtet wurden.«
»Und wieso?«
Hunter trat in die Mitte des Raumes. »Wenn man das Ausmaß der psychotischen Störung bedenkt, die sich in beiden Morden offenbart, ganz zu schweigen vom Wahnsinn der Taten an sich, schließt das zwei Täter praktisch aus. Die Tatorte lassen eine ungeheure Getriebenheit erkennen, es gibt da einen Handlungsfaden, den der Täter akribisch bis ins kleinste Detail ausagiert. Man muss sich nur die Skulpturen anschauen. Die Motivation für so was kann man unmöglich mit anderen teilen. Seine Opfer zu töten, ihre Körper zu verstümmeln und aus ihren Gliedmaßen Skulpturen zu machen – all das verschafft dem Täter Befriedigung. Es stillt ein tiefsitzendes Bedürfnis in ihm, das nur er allein versteht. Niemand anders könnte durch dieselbe Tat dasselbe Maß an Befriedigung erlangen. Eine solche seelische Störung kommt nicht gleichzeitig bei zwei Individuen vor. Es ist ein Täter, Captain, glauben Sie mir.«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie.
»Ja«, rief Captain Blake.
Die Tür wurde ein Stück aufgeschoben, und Alice Beaumonts Kopf erschien im Spalt. Sie war ins Büro der Bezirksstaatsanwaltschaft gefahren, um einige Akten einzusehen, die nicht übers Internet zugänglich waren. Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen, und sie blieb verunsichert stehen. Sie hatte nicht gewusst, dass Hunter und Garcia schon aus der Rechtsmedizin zurück waren. Und mit der Anwesenheit ihres Chefs hatte sie erst recht nicht gerechnet.
Alle wandten sich zur Tür.
Drei Sekunden verstrichen.
»Tut mir leid, falls ich störe.« Alice ließ den Blick einmal in die Runde schweifen, um sich der allgemeinen Aufmerksamkeit zu versichern. »Aber ich glaube, ich habe endlich eine Spur.«
45
Bezirksstaatsanwalt Bradley winkte Alice ins Büro, als wäre es sein eigenes. Er wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Also, was hast du für uns?«, fragte er und warf seine Kopie des Obduktionsberichts auf Captain Blakes Schreibtisch.
»Ich habe mich den ganzen Vormittag lang mit der Liste der Verbrecher befasst, denen Derek Nicholson den Prozess gemacht hat.« Sie nickte Hunter zu. »Diesmal bin ich fünfzehn Jahre zurückgegangen. Ich habe nach Verbindungen zwischen den zwei Mordopfern gesucht, und zwar in erster Linie nach jemandem, der von Dupek verhaftet und dann von Nicholson angeklagt wurde.« Sie hatte eine grüne Plastikmappe mitgebracht, aus der sie nun vier Blätter herauszog, die sie an die anderen austeilte. »Von allen Verbrechern, die Dupek im Laufe seiner zwölf Jahre als Detective verhaftet hat, gibt es siebenunddreißig, bei denen Derek Nicholson im Prozess als Vertreter der Anklage aufgetreten ist.«
Alle schauten auf ihre Blätter.
»Siebenunddreißig? Hier stehen aber nur neunundzwanzig Namen drauf«, sagte Bezirksstaatsanwalt Bradley und hob fragend die Augenbrauen.
»Das liegt daran, dass ich die ursprünglichen siebenunddreißig Namen schon mal provisorisch überprüft habe«, erklärte Alice. »Acht sind gestorben. Das eigentliche Problem ist, dass alle siebenunddreißig stinknormale Kriminelle mit stinknormalen Vergehen waren – bewaffneter Raubüberfall, tätlicher Angriff, Drogenhandel, Zuhälterei, schwere Körperverletzung, Mitgliedschaft in kriminellen Vereinigungen und so weiter. Nichts als Schulabbrecher und sozial Benachteiligte aus zerrütteten oder gewalttätigen Familien. Leute mit hohem Aggressionspotenzial, die einfach nicht auf unser Täterprofil passen.«
»Von welchem Profil reden Sie?«, wollte Bezirksstaatsanwalt Bradley wissen.
»Das Protokoll von Nicholsons Autopsie deutet doch ganz klar darauf hin, dass der Täter über medizinisches Fachwissen verfügt«, erklärte Alice.
»Die Obduktion von Dupek heute Morgen hat das bestätigt«, setzte Garcia hinzu.
»Das würde meine Argumentation also stützen«, fuhr Alice fort. »Die Kriminellen auf dieser Liste haben gar nicht den nötigen Bildungsgrad, um solche Morde zu verüben. Sie verfügen weder über das nötige Wissen noch die Geduld oder die Zielstrebigkeit, um ihre Opfer zu zerstückeln und dann zu Kunstwerken zu
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