Totenkünstler (German Edition)
betrachten konnten. Etwa sieben Zentimeter unterhalb der Schädelbasis war ein frischer horizontaler Schnitt von etwa zweieinhalb Zentimetern Breite zu erkennen.
»Der Täter hat ihm im unteren Nacken mit einem scharfen Messer in den Hals gestochen und so das Rückenmark durchtrennt.«
»Das ist nicht Ihr Ernst.« Garcias Magen krampfte sich zusammen.
»Ich fürchte doch. Ich sagte ja bereits, in meinen Augen ist dieser Killer das leibhaftige Böse – ein Teufel in Menschengestalt. Wer um alles in der Welt würde sich so was Krankes ausdenken?«
»Stickman«, sagte Hunter.
Die anderen beiden sahen ihn an, als wäre er ein Außerirdischer.
»Das nennt man Stickman«, erklärte Hunter. »Eine Foltermethode, die von einigen sadistischen Einheiten im Vietnamkrieg praktiziert wurde. Natürlich nicht so präzise wie hier. Die Soldaten haben ihrem Opfer einfach ein Messer in den Rücken gerammt und das Rückenmark an einer beliebigen Stelle durchtrennt. Manchmal war das Ergebnis eine Lähmung vom Hals abwärts, manchmal waren nur die Beine betroffen, aber das war egal. Es bedeutete, dass das Opfer sich nicht mehr wehren konnte.«
»Du willst ja wohl nicht behaupten, dass unser Täter Vietnam-Veteran ist, oder?«, fragte Garcia.
»Ich sage nur, dass die Technik an sich nicht neu ist.«
»Weil das Rückenmark relativ dicht unter der Hautoberfläche liegt« fuhr Hove fort, »muss der Schnitt nicht mal besonders tief sein. Zwei, drei Zentimeter tiefer, und der Täter hätte die Luftröhre durchtrennt. Dann wäre das Opfer fast augenblicklich tot gewesen.«
»Du liebe Zeit. Dann besteht wohl endgültig kein Zweifel mehr, dass der Täter über medizinisches Fachwissen verfügt«, sagte Garcia und wich einen Schritt zurück.
»Meiner Meinung nach nicht, nein«, sagte Hove. »Er wusste, dass er das Rückenmark bei Wirbel C4 durchtrennen muss, um eine Lähmung vom Hals abwärts ohne Beeinträchtigung des respiratorischen Systems hervorzurufen. Und genau das hat er getan. Dazu noch die fast perfekte Syme-Exartikulation, das Ligieren der Blutgefäße nach den Amputationen und das sorgfältige Verbinden der Beinstümpfe – der Kerl könnte als Chirurg im Krankenhaus arbeiten.«
44
»Der Killer hat sein Opfer gelähmt, indem er ihm mit einem Stich in den Nacken das Rückenmark durchtrennt hat?« Captain Blake versagte fast die Stimme, als sie aus der Kopie des Autopsieberichts vorlas, die Garcia ihr soeben überreicht hatte.
Hunter nickte.
Bezirksstaatsanwalt Dwayne Bradley saß in einem der zwei ledernen Besuchersessel vor Captain Blakes Schreibtisch. Auch er hielt eine Kopie des Berichts in der Hand.
»Jetzt mal langsam«, sagte er mit einem irritierten Kopfschütteln. »Dem Bericht hier zufolge würde ein durchtrenntes Rückenmark auch das Nervensystem lahmlegen, das heißt, das Opfer hätte überhaupt keine Schmerzempfindung mehr.«
»Das ist richtig«, sagte Garcia.
»Ja, verdammt noch mal, warum hat er es denn dann gemacht? Wenn der Killer wollte, dass sein Opfer leidet, warum hat er ihm dann jedes Schmerzgefühl genommen, bevor er angefangen hat, ihn in Stücke zu schneiden? Das ist doch nun wirklich absolut hirnrissig.« Bradleys Wangen hatten sich bereits verdächtig gerötet.
»Weil der Täter, aus welchem Grund auch immer, wollte, dass das Opfer auf andere Art leidet«, antwortete Hunter, den Ellbogen auf das Bücherregal an der Wand gestützt. »Seelisch.«
Bradley sah ihn ungläubig an.
»Stellen Sie sich vor, Sie müssten mit ansehen, wie Ihr Körper zerstückelt wird, wie das Blut nur so spritzt, ohne dass Sie auch nur das Geringste spüren, ohne dass Sie irgendwas tun könnten. Stellen Sie sich vor, Sie müssten völlig hilflos Ihren eigenen Tod mit ansehen wie einen Film auf einer Leinwand. Sie wissen, dass Sie sterben werden, aber Ihr Körper fühlt nichts.«
Bezirksstaatsanwalt Bradley fixierte Hunter, während er sich dessen Worte durch den Kopf gehen ließ. »Na, Sie wissen jedenfalls, wie man die Dinge in schillernden Farben malt.«
»Wie lange hat es gedauert?«, wollte Captain Blake wissen. »Ich meine die Verstümmelungen, die psychologische Folter?«
»Schwer zu sagen. Aber wenn man überschlägt, wie viel Zeit man bräuchte, um die einzelnen Gliedmaßen abzutrennen und den Blutfluss ordnungsgemäß zu stoppen, so wie der Täter es gemacht hat … mindestens eine Stunde, vielleicht auch länger.«
»Himmelherrgott noch mal«, stieß Bezirksstaatsanwalt Bradley aus, bevor er im Bericht
Weitere Kostenlose Bücher