Totenkult
vorbei, überquerte den Mozartplatz und strebte der Konditorei Dallmann zu. Er zwängte sich zwischen den Menschen hindurch, die die Terrasse in der Hoffnung auf einen frei werdenden Tisch bevölkerten.
Vor dem Kuchentresen stand eine Gruppe Chinesen in weißen Schürzen und Kochmützen. Bosch stellte sich daneben und musterte das Angebot unter dem Thekenglas. Sachertorte, Esterházyschnitten und verschiedene Obstkuchen schienen nur darauf zu warten, dass er sich für sie entschied.
»Haben Sie schon was gefunden?« Die Verkäuferin hielt den Tortenheber in der Hand. »Zum Mitnehmen?«
»Äh, ja, aber …« Bosch schaute auf die Chinesen.
»Die machen das Mozartkugelseminar.« Die Frau deutete auf ein paar Zellophantüten. »Vielleicht Schafbergkugeln? Aus Nusskrokant? Oder Nervenkekse? Aus biologisch angebautem Dinkelmehl und Rohzucker?«
»Was ist denn das Mozartkugel–?«
»Oder wie wär’s mit einem Zaunerkipferl zum Aus-der-Hand-Essen?« Das Kipferl war eher ein großes Croissant. Gehackte Nüsse lugten durch eine dicke Zuckerschicht.
Bosch fielen seine guten Vorsätze ein. »Vielleicht doch lieber was mit Obst.«
»Plunder mit Weichseln? Oder mit Marillen?«
Jemand rempelte Bosch von hinten an.
»Ja, gut, aber was ist denn eigentlich das Mozart–?«
»Geht’s auch ein wenig schneller?« Eine Frau schob einen kleinen Jungen, der mit den Füßen trampelte, neben Bosch. »Gleich ist der Mann fertig, Luca, und dann gehen wir Bootfahren, ja?« Ihr Ton lag zwischen Schmeichelei und Verzweiflung. Sicher waren hier die Nervenkekse angebracht.
Luca schob die Unterlippe vor und schaute Bosch unter seiner Topffrisur an, als hätte der ihm das letzte Stück Brot geklaut. Die Verkäuferin griff nach einem Papptablett. Noch lächelte sie, aber der Tortenheber kreiste über den Kuchen, als wollte er jeden Augenblick herabstoßen.
»Was ist denn das Mozartkugelseminar?« Bosch gab nie auf, ehe er die Antwort auf eine Frage hatte.
Luca fing an, seine Mutter mit den Fäusten zu bearbeiten. »Maamaa …«
»Ach, und ein Zaunerkipferl, bitte.« Bosch ignorierte die Stimme seines Gewissens. »Nein, lieber zwei.«
Die Verkäuferin legte zwei Kipferl auf das Tablett. »Das Mozartkugelseminar ist der Hit bei unseren Gästen. Da stellt man in unserer Backstube Mozartkugeln her, und zum Abschluss gibt’s auch noch ein Diplom.« Sie reichte Bosch das Päckchen und schenkte ihm ein Lächeln. »Wollen Sie auch diplomierter Mozartkugelspezialist werden?«
»Nein, äh, danke …« Bosch fing einen Blick von Luca auf. Das Kind schien gleich zum Angriff übergehen zu wollen. Rasch schnappte Bosch sich sein Päckchen und zahlte. Die Kochmützen der Chinesen nickten ihm zum Abschied zu.
Auf der Terrasse herrschte immer noch Hochbetrieb. Bosch wandte sich nach rechts und spazierte in Richtung der Kirche St. Ägidius. Dahinter lag der See. Vielleicht war ja eine Bank am Ufer frei.
Tapfer kämpfte er gegen den Strom der Urlauber an, der vom Schiffsanleger heraufkam. Immer wieder musste er ausweichen und sich zwischen Ständern mit Postkarten, Taucherbrillen und Badehosen zurückziehen. Der Schweiß brach ihm aus, und ein kleines Rinnsal lief über seinen Hals und versickerte im Hemdkragen.
Entnervt flüchtete er sich in eine Seitenstraße. Hier war es ruhiger. Ein Schild wies den Weg zum Museum der Zinkenbacher Malerkolonie. Bei dem Gedanken an kühle Ausstellungsräume und Bilder der berühmten Kollegen aus den dreißiger Jahren kehrten Boschs Lebensgeister zurück. Er beschleunigte seine Schritte und blieb endlich vor einem einzelnen Haus stehen. Das Museum hatte geschlossen. Enttäuscht schaute sich Bosch um.
Vor einem Geschäft mit der Aufschrift »Der Hofladen« war eine stämmige Frau in einer blauen Schürze dabei, das ausgestellte Obst und Gemüse zu sortieren. Neben der Ladentür klebten Plakate. »Die Kraft der Steine«, stand darauf, »St. Gilgener Kräuterwanderung« und »Gärtnern mit der Natur«. Im Schaufenster lagen Gesteinsbrocken, und an einer Messinghand hingen siderische Pendel. Bosch musterte das Angebot in den Obstkisten. Die Äpfel hatten schwarze Flecken, und die Gurken waren ziemlich klein.
Die Frau nahm einen verschrumpelten Apfel aus der Kiste. »Darf ich Ihnen was geben?« Ihr weißes Haar hatte sie zu einem Dutt auf dem Hinterkopf befestigt, aber ihre harten Augen passten nicht zu der Großmutterfrisur. Sie hielt den Apfel hoch. »Aus eigenem Anbau, vollbiologisch.«
Mit ein wenig
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