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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Schloss lagen zusammengefaltet neben den Farbtuben auf dem Verandatisch. Bosch warf einen Blick auf die mit einem Leintuch verhängte Staffelei in der Ecke. Er widerstand dem Impuls, den Stoff beiseitezuziehen und sich in das Bild zu vertiefen. Schnell schnappte er sich die Papiere und ging damit in den Garten. Der Föhn hatte nachgelassen, und vom See wehte eine erste abendliche Brise. Er streifte seine leichten Leinenschuhe ab und schlenderte barfuß zum Ufer hinunter.
    Die grauen Holzbohlen des Steges hatten die Hitze des Tages gespeichert und fühlten sich warm unter seinen Fußsohlen an. Darunter konnte er die Wellen gegen die Holzpfähle klatschen hören. Bosch setzte sich ganz ans Ende des Steges und hängte die Füße ins Wasser. Dann faltete er den Plan auf und vertiefte sich in den alten Grundriss.
    Wie Henri gesagt hatte, bestand der Kern des Gebäudes aus den Resten einer Burg, von der nur noch wenig erhalten war. Der Großteil der mittelalterlichen Anlage musste im 19.   Jahrhundert beim Bau des Schlosses zerstört worden sein. Die wenigen verbliebenen alten Mauern, dick und unregelmäßig, mit Vorsprüngen und Durchbrüchen, sahen wie ein organisch gewachsenes Gebilde aus.
    Nach einigem Suchen fand Bosch die Halle, in der er heute gestanden hatte und wo Henri die Wand herausreißen wollte. Dahinter lag ein großer Raum, der laut Plan gar keinen Zugang hatte, aber als Felsenkapelle bezeichnet wurde. Irgendjemand musste den Andachtsraum zugemauert haben. Die niedrige Eichentür, bei der Mortin ihm den Vortritt gelassen hatte, war auch nicht eingezeichnet. So sinnlos wie ein Blinddarm endete der Gang, in dem der Affengott mit dem Schwert Wache hielt, auf dem Papier im Nichts.
    Bosch schaute nach Fürberg hinüber. Das Schloss lag jetzt im Schatten, und seine scharfen Konturen verschwammen weich mit dem Laub der Bäume, die es umstanden. Die Abendsonne spiegelte sich in den hohen neugotischen Fenstern. Es sah aus, als loderte ein Feuer im Inneren des Schlosses. Ein Boot löste sich vom Schiffsanleger darunter, und seine schwarze Silhouette glitt die Falkenwand entlang.
    Lautes Quaken riss Bosch aus seinen Gedanken. Eine Entenfamilie kam unter dem Steg hervorgepaddelt. Erpel, Ente und vier Küken umrundeten unerschrocken Boschs im Wasser hängende Füße und schwammen auf die Weiden auf dem Nachbargrundstück zu. Schnatternd gingen sie zwischen den tief hängenden Zweigen an Land. Bosch musste lächeln. Da erregte eine andere Bewegung seine Aufmerksamkeit.
    Im seichten Uferwasser leuchtete ein roter Fleck. Sacht schaukelte er auf den Wellen. Bosch schirmte seine Augen gegen die tief stehende Sonne ab. Jetzt konnte er ein rotes Hemd erkennen. Und zwei Beine in einer hellen Hose. Im Wasser trieb ein Mensch.

DREI
    Auf dem Salzburger Mirabellplatz war Schranne. Wie jeden Donnerstag reihten sich die Marktstände vor der Andräkirche, wimmelte es von Käufern mit Taschen und Körben, drehten die Autofahrer Runden in der Hoffnung auf einen Parkplatz. Minutenlang fuhr das Taxi im Schritttempo hinter einer blumengeschmückten Hochzeitskutsche her, ehe sie in den Innenhof von Schloss Mirabell abbog. Standesamt und Marmortrauungssaal waren am Markttag nicht leicht zu erreichen. Das Taxi kämpfte sich an einem Sightseeing-Bus vorbei, der gerade eine Ladung Touristen entließ, und hielt dann in der zweiten Reihe vor einem Gründerzeithaus.
    Marie Aschenbach zog einen Geldschein aus ihrem Portemonnaie und drückte ihn dem Fahrer in die Hand. Sie stieg aus und ging auf das von Säulen flankierte Eingangsportal zu. Rasch lief sie die Stufen hinauf, durchquerte die weitläufige Halle und ging direkt zu den Aufzügen.
    Während Marie auf den Lift wartete, schaute sie zu den Engelköpfen hinauf, die irgendwo von der stuckverzierten Decke herablächeln mussten. Aber sie konnte nichts erkennen, die stechende Sonne brannte noch immer in ihren Augen. Auch ihr Kopf tat wieder weh.
    Ein Gong erklang. Marie trat in den alten Aufzug und drückte den obersten Knopf auf dem glänzenden Messingbrett. Das schmiedeeiserne Gitter schloss sich, und die Kabine setzte sich rüttelnd in Bewegung.
    Marie zog den sandfarbenen Kaschmircardigan, den sie trotz der Hitze trug, enger um sich. Ihr war ständig kalt. Der Arzt im Krankenhaus hatte sie nach ihrer letzten Mahlzeit gefragt. Für Marie war jeder Tag ein Obsttag. Daraufhin hatte sich der Arzt über Mangelernährung in einer Überflussgesellschaft ausgelassen und gemeint, bei ihrem

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