Totenkult
der einen Hand hielt er einen Teller und in der anderen ein langes Messer. Er musterte Bosch, dann schnitt er sorgfältig eine dünne Scheibe aus der Keule des Ferkels. Widerstandslos glitt das Messer durch das junge Fleisch. Der Koch spießte die Bratenscheibe mit der Messerspitze auf und legte sie auf den Teller. »Beilagen und Salat gibt’s am Buffet. Alles regional, saisonal und bio.« Er hielt Bosch den Teller hin.
Der starrte auf den Braten, aus dem rosa Saft lief, und dann auf das Ferkel. Jetzt hatte die Keule eine Wunde.
»Möchten S’ noch ein Stück Schwarte dazu?«
Bosch schluckte. »Nein, danke, ich …« Er legte die Hände auf den Bauch. »Ich bin auf Diät.« Auch auf die regionalen Beilagen der alten Geiersberger war er wenig erpicht.
»Darf ich Ihnen ein Steak auflegen?« Der Mann stellte den Teller auf den Tisch und zog ein Küchentuch von einer Schüssel. Zwischen Knoblauchzehen und Rosmarin schwammen dicke dunkelrote Fleischscheiben in einer Marinade. Blutschlieren zogen sich durch das grüngoldene Öl.
Bosch schüttelte den Kopf. »Vielleicht später.«
»Gerne.« Der Koch verschränkte die Arme hinter dem Rücken, hob das Kinn und richtete seinen Blick geradeaus.
Bosch beschloss, sich Henris Runde anzuschließen. Doch er hatte kaum ein paar Schritte gemacht, als er etwas abseits auf einem Stuhl einen Teller mit einem rohen Steak stehen sah. Es konnte wohl kaum zum Grillfleisch für die Gäste gehören. Bosch schaute zum Koch zurück, aber der stand wie eine Palastwache vor dem glühenden Grill. Auch sonst schien niemand Anspruch auf das Stück Fleisch zu erheben.
Er dachte an den Hund, der nur wenige Meter weiter hinter der Hecke lag und auf seine Rückkehr wartete. Der Streuner war geblieben und leistete Bosch Gesellschaft. Inzwischen sah er auch nicht mehr so verhungert aus. Bei dem Gedanken, wie sich der Hund über das Steak freuen würde, wurde Bosch ganz warm ums Herz. Nicht einmal Öl war darauf, nur ein paar dunkle Krümel. Wahrscheinlich war es zu Boden gefallen und deshalb beiseitegestellt worden. Er würde es später einfach mitnehmen. Aber wohin damit? Er konnte das Steak schlecht in die Hosentasche stecken. Kurzerhand packte Bosch den Stuhl bei der Lehne und zog ihn zwischen zwei Büsche. Sonst kam womöglich einer der Gäste auf die Idee, das verschmutzte Fleisch doch noch auf den Grill zu legen. Und verdarb sich dann den Magen damit. Aus der Ferne war erstes Donnergrollen zu hören.
»Na und? Das ist eben Geschäftsrisiko.«
Eine Männerstimme, zu laut und nicht mehr ganz nüchtern, kam von der nur wenige Meter entfernten Terrasse. Aschenbach, eine Hand in der Tasche seiner kurzen Lederhose, in der anderen Hand das halb volle Whiskyglas, sprach zu einem Gast mit kurz geschorenem grauem Haar. Bosch erkannte den Mann, der vor ein paar Tagen vor dem Bauernhaus auf der Straße gewartet hatte. Heute trug er keinen Anzug, sondern ein Polohemd und Jeans. Sein gebräuntes Gesicht überzog eine ungesunde Röte.
»Und jetzt mach die Fliege.« Aschenbach trat einen Schritt zurück und wäre beinahe über die Kante einer Steinplatte gestolpert. Die Eiswürfel in seinem Glas schepperten so heftig, dass ihr Klirren bis zu Bosch drang.
Der Mann im Polohemd gab eine Antwort, die Bosch nicht hören konnte, und tippte Aschenbach dabei mit dem Zeigefinger mehrmals auf die Brust.
»Finger weg«, brüllte Aschenbach. »Sind Sie völlig deppert?« Er fasste den Mann an der Schulter und gab ihm einen Stoß, sodass der zurücktaumelte. »Aus meinem Haus, sag ich, aber ein bisschen plötzlich.«
Mehrere Gäste drehten sich zu den Streithähnen um. Eine junge Frau im grünen Dirndl stellte rasch ein Gläsertablett ab und lief zu den beiden hin. Sie packte den Eindringling am Arm und versuchte ihn fortzuziehen. Der Mann stieß ihre Hand weg und hätte dabei fast Henri getroffen, der scheinbar aus dem Nichts auf der Terrasse aufgetaucht war und nun die Szene aus der Nähe verfolgte.
»Roland?« Frau Aschenbach kam den fackelgesäumten Kiesweg heraufgeeilt. »Schatz?«
Der Mann im Polo ging wieder auf den Hausherrn zu. Aschenbach, sichtlich um sicheren Stand bemüht, stellte sich breitbeinig hin. Dann hob er sein Whiskyglas in Augenhöhe. Der Mann sagte etwas. Aschenbach grinste. Plötzlich beugte er sich vor und schüttete seinem Gegner zielsicher den Alkohol ins Gesicht. Eine Frau kreischte.
Frau Aschenbach rannte auf ihren Mann zu. »Weg da, Jessica …« Sie stieß die junge Frau
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