Totenkult
nicht zu ernst, Madame. Als Kind habe ich die Anlage hier geliebt. Sie war das Altershobby von Grand-père. Wenn Sie wollen, schauen Sie sich ruhig noch ein wenig um.« Er nickte ihr zu. »In der Bibliothek müssten auch noch jede Menge Gartenbücher stehen.«
»Wirklich?« Frau Aschenbach schob ihre Sonnenbrille auf den Kopf. »Dürfte ich mir die … vielleicht mal ansehen?«
»Aber ja, wann immer Sie wollen.« Henri beäugte die Schlosspläne auf dem Boden. »Also, Hans …«
»Jetzt?« Frau Aschenbach beugte sich zu Henri vor. »Nur einen kurzen Blick?«
Henri hob den Kopf wie in Zeitlupe. »Natürlich, gern«, sagte er.
Bosch sah den beiden nach, wie sie die Terrasse überquerten und durch eine hohe Glastür im Schloss verschwanden. Er sammelte die Pläne auf, rollte sie zusammen und klemmte sie sich unter den Arm. Langsam spazierte er zurück zu dem efeuumrankten Gartentor.
Auf dem Vorplatz stand das Porsche-Cabrio in der prallen Sonne. Ein Stück davon entfernt parkte vor einer schlichten Holztür ein grüner Kleintransporter mit offener Heckklappe. Auf der Seite stand in großen weißen Buchstaben: »Der Hofladen«, und darunter, etwas kleiner: »Margarete Geiersberger«. Die folgende Telefonnummer konnte Bosch nicht entziffern. Sofort fiel ihm das Obstgeschäft in St. Gilgen ein. Das hieß »Hofladen«. Margarete Geiersberger musste die alte Hexe sein, die den gelben Hund verletzt hatte.
Die Holztür ging auf, und das rothaarige Mädchen vom Bioladen lief die Stufen hinab. Heute trug sie eine grüne Schürze, und ihre Locken waren in einem Pferdeschwanz gebändigt. In der Hand hielt sie ein paar Tomaten. Wahrscheinlich hatte sie Bio-Gemüse ins Schloss geliefert, und Cesario hatte sie mit den Tomaten wieder weggeschickt. Das Mädchen hielt auf der untersten Stufe inne. An dem weißen Porsche-Cabrio, das in der Sonne glänzte, blieb ihr Blick hängen. Ihre Augen verengten sich. So ein Auto war sicher ein Mädchentraum. Da bemerkte sie Bosch. Sie warf ihren Pferdeschwanz mit einer raschen Kopfbewegung zurück und stapfte zu ihrem Lieferwagen. Im Vorbeigehen knallte sie die Heckklappe zu. Einen Augenblick später heulte der Motor auf, und der grüne Transporter entschwand durch das Schlosstor.
Hinter einem der Fenster im ersten Stock bewegte sich der Vorhang. Cesario starrte dem Lieferwagen hinterher. Er lächelte. War das Mädchen nicht nur die Gemüselieferantin?
Hinter Bosch waren Stimmen zu hören. Er drehte sich um und sah Henri, einen Stapel Bücher in Ledereinbänden unter dem Arm, auf sich zuhinken. Neben ihm schritt leichtfüßig Frau Aschenbach, mit nichts als ihrer Sonnenbrille in den Händen. Als sie Bosch erblickte, winkte sie ihm zu.
»Hallo, Herr Nachbar, gute Nachricht – ich halte Sie nicht länger auf.«
Bosch rang sich ein Lächeln ab. Sie hatte bereits seinen halben Vormittag verschwendet. Und anscheinend hatte sie es auch geschafft, Henri um einige kostbare Bücher zu erleichtern. Hoffentlich bereute er seine Großzügigkeit nicht noch. Zumindest schien das Chinaporzellan für heute kein Thema mehr zu sein.
»Ach, die Frauen …« Henri blieb bei Bosch stehen und grinste. »Madame ist eine Gärtnerin aus Liebe.«
»Herr de Mortin hat mir jede Menge Gartenliteratur zusammengestellt.« Die Aschenbach lachte und nahm Henri den Stapel ab. »Lassen Sie mich das doch tragen«, sagte sie in Reichweite ihres Autos. »Und vergessen Sie nicht, wir sehen uns am Samstagabend.« Sie legte Bosch ihre freie Hand auf den Arm. »Und Sie kommen natürlich auch. Ich habe meinem Mann erzählt, dass Sie mir das Leben gerettet haben.« Sie zog die Fernbedienung aus der Hosentasche und entriegelte ihr Cabrio. »Er kann es kaum erwarten, sich bei Ihnen zu bedanken.«
Bosch hasste Geselligkeiten, aber in diesem Fall wäre eine Ablehnung wohl eine Beleidigung gewesen. »Es wird mir eine Ehre sein.« Das nächste Mal würde er sie im Wolfgangsee treiben lassen. »Ich komme natürlich gerne.« Was hatte Henri da zu grinsen?
Frau Aschenbach schleppte ihre Beute die letzten Meter zum Auto. Kurzerhand warf sie die wertvollen Bücher auf die Rückbank. Dann öffnete sie die Fahrertür und – schrie los.
Bosch war als Erster bei ihr. Erst wusste er nicht, was die Frau so aus der Fassung gebracht hatte. Aber dann fiel sein Blick auf den Fahrersitz.
Dort, wo noch vor Kurzem festes Leder in der Sonne geglänzt hatte, ragten nun scharfe Kanten mit rissigen Rändern in die Luft. Jemand hatte mit einem
Weitere Kostenlose Bücher