Totenkult
Vom Grill her waren Gelächter und Rufe zu hören. Die Gäste zogen los, um sich einen trockenen Platz zu suchen, oder gingen zu ihren Autos. Die Party löste sich nach und nach auf. Bosch zwängte sich ins Gebüsch, holte das Steak für den Hund und versuchte, die daran haftenden Erdkrumen abzuklopfen.
»Lunchpaket?« Henri deutete auf das rohe Fleisch in Boschs Hand. »Vielleicht nehmen Sie lieber was vom Grill.«
Bosch spürte, wie er rot wurde, und war froh, dass es inzwischen völlig dunkel geworden war. Nur die Fackeln loderten im stärker werdenden Wind und warfen zuckende Schattenbilder auf den Rasen. »Das Steak ist irgendwem runtergefallen.« Es klang wie eine Ausrede. »Ich wollte es für meinen Hund mitnehmen.«
Ein Blitz erhellte den Garten, dicht gefolgt von ohrenbetäubendem Donner.
Henri nickte, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, bei einer Einladung ein Filet für sein Haustier mitgehen zu lassen.
»Gute Idee.« Er schaute zum Grill hinauf, wo der Koch inzwischen Arbeitshandschuhe angezogen hatte und den Spieß mit dem verstümmelten Ferkel abnahm. Kellner eilten mit Gläsertabletts und Tellerstapeln ins Haus. »Ich werde mir noch schnell etwas Braten organisieren.« Er grinste. »Ich kann aber nicht behaupten, dass das Fleisch für meinen Hund ist.«
In diesem Augenblick brach das Unwetter mit aller Macht los. Der Himmel öffnete sich, und eine Wasserwand ging hernieder. Der Sturm fuhr unter die Weidenzweige und wirbelte sie herum, bis sie die Luft peitschten wie eine neunschwänzige Katze. Bosch hörte das Geschrei der letzten Gäste, die ihr Heil in der Flucht suchten. Schemenhaft konnte er die auf und ab hüpfende Silhouette von Henri erkennen, der sich hinkend, aber zielstrebig in Richtung Grill bewegte.
Grelle Blitze rasten über den schwarzen Himmel, im selben Moment ließ ein Donnerschlag die Erde erbeben. Für den Bruchteil eines Augenblicks umgab ein Leuchten Henris schwankende Gestalt, als stände er in Flammen. Dann schlossen sich die Regenschleier hinter ihm.
SECHS
»Hund …?« Der Streuner hatte noch immer keinen Namen. Bosch hatte sich zwar Gedanken darüber gemacht, aber wer wusste schon, wie Tiere in ihrer eigenen Sprache hießen? »Hund, komm, komm … na komm schon.«
In den letzten Tagen hatte der Streuner immer schon vor der Terrassentür gewartet, wenn Bosch aufgestanden war. Er kam nie ins Haus und ließ sich nicht anfassen, aber wenn Bosch tagsüber im Garten malte, schlief er neben der Staffelei. Abends saß Bosch auf dem Steg und sah zu, wie die Sonne unterging und der See seine Farben verlor, bis er schließlich nur noch die Sterne widerspiegelte. Oft merkte er erst, wenn er aufstand, dass der Hund in seiner Nähe lag. Die Augen halb geschlossen, die Nase im Wind, schien er die Gerüche der Nacht in sich aufzunehmen. Es war eine Freundschaft auf Augenhöhe.
Inzwischen hatte Bosch einen Sack Hundefutter gekauft, aber letzte Nacht hatte er seinem Freund das Steak gebracht. Nun, am Morgen, lag es halb aufgefressen im regennassen Gras, und der Hund war weg. Sein ganzes Leben hatte Bosch kein eigenes Tier vermisst. Jetzt wunderte er sich, wie sehr ihm der Streuner fehlte. Er ging zu dem verschmähten Fleischrest, hob ihn mit spitzen Fingern auf und machte sich auf den Weg zur Mülltonne.
Da hörte er den Ufersand hinter sich knirschen. Rasch drehte er sich um, in der festen Erwartung, den Hund auf sich zuspringen zu sehen. Aber es war schon wieder Frau Aschenbach. Sie trug einen schwarzen Seidenkimono, den sie mit einer Hand zusammenhielt. Mit der anderen wedelte sie durch die Luft.
»Hallo, hallo …« Sie ging über den Rasen, als balancierte sie über rohe Eier, und als sie näher kam, bemerkte Bosch, dass sie keine Schuhe trug. »Ach Gott, gut, dass Sie da sind, Sie müssen mir helfen …« Sie blieb vor Bosch stehen. Ihr Atem ging stoßweise, die Haare hingen strähnig um ihr Gesicht, und aus ihrem Kimono stieg ein Geruch nach Nachtschweiß und teurem Parfüm.
Bosch trat einen Schritt zurück. »Morgen …«
»Mein Mann … Was ist denn das?« Sie starrte auf den Fleischfetzen in Boschs Hand.
Schnell hielt er das Steak hinter den Rücken. »Das ist Hundefutter.« Am liebsten hätte er gefragt, warum sie ihn in aller Herrgottsfrühe störte. Noch dazu in diesem Aufzug.
Frau Aschenbach schlug die Hand vor die Stirn. »Ja, ja, verzeihen Sie, das sind … die Nerven.« Sie machte einen tiefen Atemzug. »Ich kriege meinen Mann nicht
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