Totenkult
Messer in die Rückenlehne gestochen und den Sitz kreuz und quer aufgeschlitzt. Das rote Leder klaffte wie eine blutige Haut, und die herausquellende Polsterung schimmerte weiß, als hätte der Attentäter die Innereien des Autos freigelegt.
Henri packte Frau Aschenbach an den Schultern und schüttelte sie wie eine Puppe. »Madame, Madame – so hören Sie doch! Das wird sich alles aufklären.«
Frau Aschenbach verstummte abrupt.
»Glauben Sie mir.«
In der Stille des Sommertages war nur noch das Brummen einer dicken Hummel zu hören, die gefährlich nah neben Boschs Ohr kreiste.
FÜNF
Ein Sturmtief war im Anzug. Über Strobl türmten sich schon dunkle Wolken. Sie krochen über den orangefarbenen Himmel und drohten die letzten Strahlen der Abendsonne zu verdecken. Wo die ersten Windböen auf den bleifarbenen Wolfgangsee trafen, rauten sie das Wasser auf, bis es aussah wie gebürsteter Stahl. Die Luft war wie warmer, zähflüssiger Sirup, und Schwaden von Gewitterfliegen hingen in der Luft.
Bosch stand auf Aschenbachs Uferstreifen und ließ seinen Blick schweifen, um den Moment hinauszuzögern, in dem er sich unter das Partyvolk mischen musste. Er fasste an den Kragen seines weißen Kurzarmhemdes, das er zur Feier der Einstandsparty seiner Nachbarn angezogen hatte, und zog ihn von seinem schweißfeuchten Hals weg. Der See lag verlassen vor ihm. Alle Boote waren vor dem aufziehenden Unwetter geflüchtet und hatten Schutz in ihren Heimathäfen gesucht. Auf der anderen Seite der Bucht konnte Bosch die Lichter von Fürberg erkennen. Und darüber, wie einen dunklen Schattenriss zwischen den Bäumen, das Schloss. Hinter zwei Fenstern brannte bereits Licht.
Der Schlossherr selbst stand ein paar Meter von Bosch entfernt im Kreis einiger Gäste unter einer Trauerweide. Ihre lanzenförmigen Blätter hingen wie an Schnüren bis fast zum Boden und bildeten einen sacht schwingenden Vorhang um die kleine Gruppe. Fackeln erhellten den Baumschatten und warfen ihren flackernden Schein auf Henris weißen Leinenanzug. Wie ein Herrscher unter einem königlichen Baldachin schwenkte er sein Rotweinglas hin und her und hielt einen seiner Vorträge. Das Publikum klebte an seinen Lippen.
Bosch drehte sich um und ging den Kiesweg zum Bauernhaus hinauf. Auch hier loderten links und rechts des Weges Fackeln. Auf dem Rasen standen die Partygäste in Gruppen beisammen. Kellner in langen grünen Schürzen drehten Runden und boten auf Silbertabletts Getränke an. Vom Haus her war Musik zu hören. Hansi Hinterseer besang mit schmelzender Stimme seine Tiroler Heimat.
Alle Gäste trugen Dirndl oder kurze Lederhosen. Bosch fragte sich, ob zu späterer Stunde etwa zum Volkstanz gebeten würde. Henri und er schienen an diesem Abend die einzigen Menschen in Zivil zu sein.
Frau Aschenbach im rosa Dirndl stand neben einem Mann in einer Jägerleinenjacke und winkte ihm. Sie sagte noch ein paar Worte zu ihrem Gesprächspartner, dann kam sie über den Rasen auf Bosch zu.
»Schön, dass Sie sich Zeit genommen haben.« Frau Aschenbach lächelte so unbefangen, als wäre ihr letztes Zusammentreffen nicht durch die Zerstörung ihres Autos überschattet worden. »Haben Sie Herrn de Mortin schon gesehen?«
»Ja.« Bosch schaute zu den Bäumen hinunter. Henri stand noch immer im Kreis seiner Jünger. »Er scheint schon Freunde gefunden zu haben.«
»Allerdings.« Sie lachte. »Ein echter Charmeur. Er hat mir weiße Rosen mitgebracht, einen Riesenstrauß, ein Traum.«
An so etwas hatte Bosch natürlich nicht gedacht. In seiner Jackentasche steckte als Gastgeschenk ein kleiner Gedichtband von Trakl, seinem Lieblingsdichter. Aber was war das schon gegen weiße Rosen? Er beschloss, mit der Übergabe noch zu warten. »Wahrscheinlich hat er nur ein schlechtes Gewissen wegen Ihres Autos«, brummte er.
Frau Aschenbach gab keine Antwort.
»Na, wegen des zerstochenen Fahrersitzes. Immerhin …«
»Ich weiß schon, was Sie meinen.« Sie räusperte sich. »Das war einfach furchtbar.« Ihre Augen fingen an zu flackern. »Es hatte so was … Böses, finden Sie nicht?«
»Wissen Sie denn schon, wer’s war?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Haben Sie wenigstens irgendeinen Verdacht?«
»Nein.« Frau Aschenbach spielte mit den Bändern ihrer rosa Seidenschürze, auf der hellblaue Hirsche herumsprangen. Sie schaute zur Terrasse hinauf, wo ein Mann in kurzer Lederhose und weitem weißem Trachtenhemd stand. In der einen Hand hielt er ein Glas, mit der anderen
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