Totenkult
wach.«
»Was heißt, Sie kriegen Ihren Mann nicht wach?«
»Er liegt im Bett.« Sie zeigte auf das Dach des Bauernhauses hinter der Hecke, auf dem noch der Regen der letzten Nacht glänzte. »Er rührt sich nicht.« Ihre Stimme zitterte.
Einen irren Moment hatte Bosch den zerfetzten Autositz vor Augen. Aber dann fielen ihm Henris Worte vom Vorabend ein: Er liegt mit einem Riesenrausch im Bett. In seiner Haut möchte ich morgen nicht stecken. Frau Aschenbach sollte ihre bessere Hälfte in diesem Zustand doch kennen.
»Soviel ich weiß, hat Ihr Mann gestern ein wenig, äh, über den Durst getrunken.« Die Aschenbachs fingen an, Bosch auf die Nerven zu gehen. Er wollte nichts anderes, als einen Sommer lang in Ruhe am Wolfgangsee malen und seine Arbeit im Schloss machen. Und sich nicht in die Probleme fremder Leute hineinziehen lassen. »Gönnen Sie ihm halt noch ein wenig Schlaf.«
Frau Aschenbach zog den Kimono fest um sich. »Roland«, sie schluckte, »ich glaube, Roland schläft nicht mehr.«
Was sollte das jetzt wieder heißen? »Ja, dann …«
»Bitte, kommen Sie mit, bitte.«
»Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen da helfen kann. Wenn Sie sich solche Sorgen machen, sollten Sie die Rettung …«
»Nein.« Ihr Blick flackerte. »Bloß nicht.« In dem schwarzen Seidenmantel wirkte sie noch dünner und durchscheinender als sonst. Fahl spannte sich ihre Haut über den Gesichtsknochen und über das vorstehende Schlüsselbein im Ausschnitt des Kimonos. Ihre Augen lagen in tiefen Höhlen. »Bitte kommen Sie mit. Sie haben mir doch das Leben gerettet, und ich weiß sonst niemanden, an den ich mich wenden könnte … Roland bringt mich um, wenn ich hier Aufsehen mache.«
Jetzt bekam Bosch doch Mitleid mit ihr. »Na gut«, sagte er und warf das Fleischstück ins Gras. Vielleicht würde es ja den Hund zurücklocken. »Dann schauen wir erst mal, ob wir überhaupt einen Arzt brauchen. Aber ich denke, Ihrem Mann fehlt nichts außer einem starken Kaffee.«
Der Garten des Bauernhauses erinnerte Bosch an Bilder von Pompeji. Das ganze Fest schien wie in einer Momentaufnahme auf seinem Höhepunkt erstarrt, als das Gewitter losgebrochen war. Fackeln mit verkohlten Köpfen säumten den zertretenen Kiesweg, auf den Bistrotischen standen Flaschen, Gläser und halb leer gegessene Teller, in denen Regenwasser schwappte. Neben einer aufgeweichten Papierserviette lag ein einzelner rosa Seidenschuh auf dem Rasen. Den Grill hatte man zum Schutz vor dem Regen unter die tief herabhängenden Zweige einer Weide gezogen. Nur die Gäste dieses Geisterfestes waren unsichtbar.
Frau Aschenbach führte Bosch über die Terrasse um das Haus herum. Auf den Schieferplatten standen Wasserlachen, in denen sich die goldgeränderten Wolken spiegelten. Rittersporn und Fingerhut warfen Schatten auf die in der Sonne leuchtende Fassade. Eine Hummel summte über den blauen und weißen Blüten. Der Morgen versprach zu einem jener endlosen Sommertage zu werden, die so träge dahintrieben wie ein führerloses Boot auf einem stillen See. Wenn da nicht die Frau gewesen wäre, die barfuß über die rauen Steine hastete. Ihr Kimono blähte sich auf ihrem Rücken, die flatternde Seide schien ihr schwarze Flügel zu verleihen.
»Kommen Sie.« Frau Aschenbach blieb an einer zur Hälfte verglasten Seitentür stehen und legte die Hand auf die geschmiedete Klinke. »Wir gehen gleich durch die Küche.« Sie winkte Bosch zu sich heran. »Das Schlafzimmer ist oben.«
Bosch blieb stehen. Er konnte dieser halb nackten Frau nicht ins Schlafzimmer zu ihrem betrunkenen Ehemann folgen. »Meinen Sie nicht, Sie sollten lieber die Rettung –«
»Na los …«
Bosch holte tief Luft und unterdrückte den Impuls, sich einfach umzudrehen und nach Hause zu gehen. Am liebsten hätte er den Tag noch einmal begonnen. An seiner Staffelei. Ohne eine Menschenseele. Nur seinen Hund zu Füßen. Aber es war zu spät. Er hatte diesen Leuten erlaubt, sich in sein Leben zu drängen. Und er hatte Frau Aschenbach bereits Hilfe zugesagt. »Komme schon.«
Die Küche war eine jener überladenen Landhausküchen mit geschnitzten Eichenfronten, polierten Kupferkesseln über dem Gasherd und Bündeln von getrockneten Kräutern und Blumen an der Decke. Neben der Küchentür hing ein Fernseher an der Wand. Wenigstens hier hatte das Personal in der Nacht noch aufgeräumt. Die Arbeitsplatten aus schwarzem Granit glänzten, und in einer silbernen Espressomaschine, auf der ein Adler thronte, spiegelte
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