Totenkult
rieb die Vorderbeine aneinander. Irgendwo im Haus hörte Bosch Frau Aschenbach telefonieren. Die Fliege hob ab, drehte ein paar Runden in der Luft und schwirrte auf den Toten zu. Bosch folgte ihr mit Blicken, und ehe er es sich versah, saß das Insekt auf dem Kopfkissen. Es war eine dicke Fleischfliege. Ihr Panzer schillerte grün-schwarz. Zielstrebig krabbelte sie auf das wächserne Gesicht des Toten zu. Bosch wedelte mit der Hand, doch die Fliege ließ sich nur kurz vertreiben. Beim zweiten Mal landete sie auf Aschenbachs Stirn. Boschs Magen rebellierte. Er drehte sich um und flüchtete aus dem Schlafzimmer.
Eilig stieg er die Treppe hinab. Vor der Küchentür wäre er fast mit Frau Aschenbach zusammengestoßen. Sie trug jetzt Jeans und Turnschuhe. Die Ärmel ihres Karohemds waren hochgekrempelt und ihre Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Hätte er nicht gewusst, dass im ersten Stock ihr verstorbener Ehemann lag, wäre sie ihm wie eine Hausfrau am Morgen nach einer großen Einladung vorgekommen. Übernächtig, aber bereit, die angefallene Arbeit anzupacken.
»Der Arzt ist gleich da«, sagte sie und ging in die Küche voraus. Sie steuerte auf die große Espressomaschine zu. »Ich brauche einen Kaffee. Wollen Sie auch einen?«
Bosch wäre lieber nach Hause gegangen. Aber es gehörte sich wohl, bis zum Eintreffen des Arztes zu bleiben. »Gern.« Er setzte sich auf die Küchenbank im Herrgottswinkel und schob eine von Frau Geiersbergers Schachteln beiseite. Der Deckel verrutschte, und leises Rascheln war zu hören. Ein eigenartiger Geruch kitzelte Bosch in der Nase, aber als er einen Blick in das Innere des Kartons warf, konnte er nur ein paar graugrüne Krümel erkennen, Reste von getrockneten Kräutern. Bosch klappte den Deckel wieder zu.
Frau Aschenbach schaltete die Maschine ein. Mit einem Brummen, das Bosch unangenehm an das Summen der Fliege erinnerte, setzte sich der Apparat in Gang. Frau Aschenbach drehte sich nicht zu Bosch um. Sie schien ganz auf die Funktion der Kaffeemaschine konzentriert.
»Wie oft habe ich Roland gesagt, mit diesem Ziehen in der Brust ist nicht zu spaßen.« Ihre Stimme klang unsicher. Als traute sie ihren eigenen Worten nicht. Sie nahm zwei rote Espressotassen aus einem Hängeschrank, stellte sie in die Maschine und drückte auf einen Knopf. »Das ist das Herz, habe ich gesagt, geh doch endlich zum Arzt.« Fauchend und zischend strömte der Kaffee aus den Düsen und erfüllte die Küche mit seinem intensiven Duft. »Milch?«
»Äh, nein, danke.«
Frau Aschenbach brachte die Tassen zum Tisch und stellte eine vor Bosch hin. Dann setzte sie sich auf den Holzstuhl gegenüber und starrte auf die stumpfe gelbe Creme auf ihrem Kaffee.
Bosch schaute zu dem geschnitzten Jesus in der Ecke hinauf. »Haben Sie Ihren Mann genau so vorgefunden?« Die Figur war schlecht. Der ganze Ausdruck war grobschlächtig, die Hände und Füße klobig. Sein Freund Franz Schwarzenberger hätte dem Gekreuzigten die Züge eines Gemarterten verliehen. Vielleicht mit einem Gesicht wie dem des Mannes, der im Stockwerk über ihnen still in seinem Bett lag. »Ich meine, so, wie er da liegt?«
Sie blickte auf. »Ja, natürlich. Wieso?«
Bosch warf einen letzten Blick auf die Christusfigur. Niemand wusste, dass Franz gegen gutes Geld Heiligenfiguren kopiert hatte. Der Kunstwelt war er nur als früh verstorbenes Genie bekannt, als großer Verlust für die zeitgenössische Malerei. »Weil ihm irgendwer die Decke bis unters Kinn gezogen hat. Und ich dachte, das wären vielleicht Sie gewesen.«
»Seltsam.« Frau Aschenbach runzelte die Stirn. »Aber nein, das war ich nicht. Ich hab ihn genau so gefunden. Erst wollte ich ihn wecken, aber dann hab ich sein Gesicht gesehen.« Sie räusperte sich und fing an, mit dem Zeigefinger Kreise auf die Tischplatte zu malen.
Das kalte Morgenlicht schmeichelte der Frau nicht. Über ihre Wangen lief ein Netz von Fältchen, die wie feine Sprünge wirkten. Die Augen lagen tief in den Höhlen, und kleine Narben saßen in ihren Winkeln, als hätte sie sich auf beiden Lidern gleichzeitig geschnitten. Das Blond ihres Haares bestand aus mehreren Farbtönen, die in der Natur nicht vorkamen und nicht miteinander harmonierten. Sie könnte dreißig, aber auch fünfzig sein. Dreißig, wenn sie lachte und angeregt plauderte, fünfzig in Momenten wie diesem.
Um Frau Aschenbach nicht weiter anzustarren, ließ Bosch den Blick durch die Küche wandern. Neben der Küchentür hing in Augenhöhe
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