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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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sich das Morgenlicht. Ein Geruch nach Zitrone hing in der Luft. In der Essecke, direkt unter dem Herrgottswinkel, standen leere Schachteln. »Der Hofladen«, stand darauf. Daneben lag ein Stapel Gartenbücher, aus denen Klebezettel ragten. Ein geschnitzter Jesus mit goldenem Heiligenschein schaute von seinem Kreuz gequält auf Frau Geiersbergers Leergut herab. Bosch unterdrückte einen Seufzer.
    Frau Aschenbachs bloße Füße tappten irgendwo eine Treppe hinauf. Bosch beeilte sich, ihr zu folgen. Er fand sie in einem schummrigen Flur im ersten Stock. Sie stand vor einer geschlossenen Tür und hatte offensichtlich auf ihn gewartet. Als sie ihn kommen sah, straffte sie ihren hageren Körper und zog den Bindegürtel ihres Kimonos fest.
    »Da drinnen«, flüsterte sie.
    Wollte sie ihren Mann nicht wecken? Dabei war es doch gerade sein tiefer Schlaf, der ihr Sorgen zu machen schien. »Bitte.« Bosch deutete auf die Tür.
    Frau Aschenbach legte die Fingerspitzen auf die Klinke, als erwartete sie, sich daran zu verbrennen. Dann drückte sie sie rasch hinab und stieß die Tür auf. Helles Sonnenlicht strömte in den dunklen Flur.
    Bosch wartete, dass sie ihn ins Zimmer führen würde, aber sie blieb wie angewachsen stehen und machte nur eine unbestimmte Armbewegung in den Raum. Ihre Hand flatterte wie ein Vogel.
    Boschs Unbehagen verwandelte sich in handfesten Ärger. Je eher er dieser unmöglichen Situation, in die er da geraten war, ein Ende machte, umso besser. Es würde ihm eine Lehre für die Zukunft sein. Entschlossen trat er über die Schwelle.
    Das Schlafzimmer der Aschenbachs zeigte die gleiche Handschrift wie die Landhausküche im Erdgeschoss. Die grünen Leinenvorhänge an den schmiedeeisernen Stangen waren bereits aufgezogen, himbeerrosa gestrichene Wände glühten in der Morgensonne, deren Licht durch kleine Holzsprossenfenster fiel. Auf einer Biedermeierkommode stand ein Sammelsurium aus Silberrahmen und bemalten Spanschachteln. Ein vergilbtes Zebrafell bedeckte die Holzdielen.
    Eine Seite des Schlafzimmers nahm ein breites Doppelbett ein, über dessen Kopfende ein Himmel aus grüner Seide hing. Zwischen makellosen weißen Kissen konnte Bosch den kurzen Haarschopf eines Mannes erkennen. Er hatte die Augen geschlossen, und sein Mund stand offen. Er schien zu schlafen. Bosch drehte sich zu Frau Aschenbach um.
    »Ist doch alles in Ordnung«, flüsterte er.
    Sie schüttelte wortlos den Kopf und trat einen Schritt zurück. Bosch entschloss sich, Aschenbach einfach zu wecken. Er räusperte sich laut und ging mit festen Schritten zum Bett hinüber. Das alte Zebrafell knisterte wie Pergament unter seinen Sohlen. Irgendwo summte eine Fliege. Es waren die einzigen Laute im Raum. Erst jetzt fiel Bosch auf, dass kein Atem des Schläfers zu hören war. Er trat ans Bett und schaute auf den Mann hinab, der da zwischen den Kissen lag.
    Jemand hatte Roland Aschenbach die Decke bis zum Kinn hinaufgezogen. Wenn seine Frau nicht gewagt hatte, ihn zu berühren, musste es eine fürsorgliche Geste Henris gewesen sein, der den Betrunkenen in der Nacht zu Bett gebracht hatte. Dann hätte sich Aschenbach jedoch seit gestern Abend nicht mehr gerührt.
    Der Mann schien in den letzten Stunden im Zeitraffer seine restliche Lebenszeit durchlaufen zu haben. Er wirkte um Jahrzehnte gealtert. Seine Züge waren erschlafft, der Unterkiefer hing herab, und sein Mund klaffte als schwarzes Loch. Es sah aus, als läge eine Maske aus Pappmachee auf seinem Gesicht, die bei der geringsten Berührung zerbrechen konnte. Bosch wusste nicht, wie man den Puls fühlte. Aber er brauchte nur noch einen Blick auf die Brust unter der Decke zu werfen, die sich weder hob noch senkte. Vor Bosch lag eine Leiche. Aschenbach war tot.
    Langsam drehte er sich um. Er suchte nach Worten, aber Frau Aschenbach verstand ihn auch so. Für einen Moment schloss sie die Augen, dann nickte sie.
    »Wir müssen einen Arzt rufen.« Bosch hörte seine eigene Stimme wie durch eine Wand. »Aber ich meine … also … es hat keine Eile.«
    Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Dann schaute sie auf den Kimono und ihre erdverschmierten Füße hinab. »Ich muss was anziehen.«
    »Ich warte solange hier.«
    Sie nickte erneut. »Erst muss ich was anziehen.« Wie in Trance drehte sie sich um und verschwand im Gang.
    Bosch vermied es, die Leiche anzusehen. Die Fliege summte vor der Fensterscheibe. Immer wieder stieß sie gegen das Glas. Dann setzte sie sich auf das Fensterkreuz und

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