Totenkult
Ding erinnerte ihn an Frauen in weißen Gewändern, die sich in Trance tanzten, und schwarze Hähne, die im Todeskampf flatterten. Bosch wurde schlecht. Er kniff den Mund zusammen.
Henri zog die Zeitung aus der Einkaufstüte und legte sie auf einen Stuhl. »Hier, die lag auf der Fußmatte. Gehen Sie auch manchmal vor die Tür?«
»Das ist ja ekelhaft.« Bosch warf die Puppe auf den Tisch, traf aber nur die Kante. Die Figur fiel herab und hoppelte über den Boden, bis sie mitten auf der Veranda liegen blieb. Der Hund sprang auf und lief in den Garten hinaus.
Henri stellte seine Einkaufstüte ab, hinkte zu der Puppe und hob sie auf. Dann setzte er sie auf den Mallappen und stützte ihren Rücken mit einer Stofffalte. Die Kaffeebohnenaugen starrten vor sich hin.
»Man muss vorsichtig damit umgehen«, meinte Henri. »Schließlich stellt sie den Geist einer bestimmten Person dar.« Er strich mit dem Zeigefinger über die Federn auf dem Kopf. »Ganz nass … liegt sicher schon länger da draußen.«
»Meine Hände sind voller Terpentin.«
Bosch ging in die Küche. Er musste nicht nur die Farbreste, sondern auch das Gefühl der nassen Wolle von den Händen waschen.
Henri schnappte sich seine Einkaufstüte und folgte ihm. »Ich wollte Sie mit einem Mittagessen überraschen«, sagte er und stellte die Tüte auf den Tisch. »Coq au Vin – was halten Sie davon?« Er zog eine Flasche Rotwein, Zwiebeln, Knoblauch, ein Stück Speck, ein Körbchen Champignons und die Baguette aus der Tüte. Dann griff er mit beiden Händen hinein und hob ein Paket heraus, aus dem der nackte Hals eines Huhnes baumelte. »Jeden Mittwoch gibt’s Bio-Fleisch bei Madame Geiersberger, was sagen Sie dazu?« Er hielt das Paket in die Luft. »Ich fürchte allerdings, dieses Tier hat sich eines langen Lebens erfreut. Schön für das Huhn, weniger schön für uns – wir werden es klein schneiden müssen.« Ein breites Grinsen lag auf seinem Clownsgesicht.
»Sie wollen hier kochen?« Bosch trocknete sich die Hände sorgfältig ab, obwohl er wusste, dass der raue Stoff des Küchenhandtuchs nicht ausreichen würde, um das wollige Gefühl von der Haut zu kriegen. Wer legte ihm eine Voodoopuppe vor die Haustür? Und wozu? »Bei mir?«
»Was dagegen?« Henri zog die Brauen hoch. »Im Schloss wütet die Baufirma. Alles ist voller Staub und Dreck, und erst der Lärm – aber wenn ich Sie störe …« Er blickte Bosch mit seinen vorstehenden Augen über das Huhn hinweg an.
»Nein, nein, natürlich nicht …« Lieber hätte Bosch an seinem Narrenschiff weitergearbeitet. »Sehr nett, dass Sie an mich gedacht haben.«
»Wozu hat man Freunde?« Henri riss bereits den Küchenschrank auf. »Ich brauche einen großen Topf. Man sollte das Fleisch vierundzwanzig Stunden marinieren und dann zweimal schmoren.« Er zog eine Kasserolle hervor, von der die dunkelrote Emailleschicht abblätterte. »Das wird gehen, denke ich … ein anständiger Coq au Vin braucht also zwei Tage. Oder drei mit Marinade.«
»Ah.« Bosch sah Henri schon als Dauergast in seinem Häuschen, bis das perfekte Huhn in Rotwein fertig war.
Henri zwinkerte Bosch zu. »Gesetze sind dazu da, dass sie gebrochen werden, mon cher . Hokuspokus – ich kann’s auch in dreißig Minuten.« Jetzt war er nicht mehr der Clown, sondern ein Zauberer, der um keinen Preis einen Trick verriet.
Bosch zog einen Stuhl unter dem Küchentisch hervor und setzte sich. Henri entschied sich für ein Küchenmesser und zerlegte geschickt das Huhn damit. Dann würfelte er den Speck, entzündete die Flamme des alten Gasherdes und ließ den Speck in der Kasserolle aus. Würziger Bratenduft erfüllte die Küche.
»Wo haben Sie so gut kochen gelernt?«
»Nicht jede Expedition hat einen Koch, der den Namen verdient.« Henri schnitt die Champignons blättrig. »Eine gute Mahlzeit hält die Mannschaft zusammen. Bei mir kriegen alle, Wissenschaftler und Arbeiter, das Gleiche vorgesetzt. Ist ein Erfolgsrezept von Grand-père.« Er warf die Pilze zum Speck und rührte in der Kasserolle herum. »Ihnen geht die Voodoopuppe nicht aus dem Kopf, stimmt’s?«
»Was würden Sie denn sagen, wenn auf einmal so ein Ding vor Ihrer Haustür liegt?«
Henri zuckte mit den Schultern und rüttelte an dem Topf. »Dass da draußen jemand ist, der was von mir will.«
»Aber ist so ein Voodoozauber nicht ein Fluch?«
Henri warf Bosch einen schnellen Blick zu. »Nicht unbedingt. Diese Puppen stellen nur den Geist einer bestimmten Person –
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