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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Wahrscheinlich war der zerfetzte Fahrersitz des Cabrios noch nicht ausgetauscht.
    Ein Windstoß fuhr in das Uferschilf und ließ die Rispen tanzen. Die scharfen Blätter leuchteten in der Sonne wie goldene Speerspitzen. Bosch legte den Kopf in den Nacken, verschränkte die Hände auf dem Bauch und schloss die Augen. Die Wellen schlugen schmatzend gegen die Holzpfähle, und die Enten quakten leise. Wenn er genügend Zeit neben seiner Arbeit im Schloss fand, konnte er mit dem »Narrenschiff« noch diese Woche fertig werden.
    »Mon cher.« Henri sprach so laut, als müsste Bosch geweckt werden. »Hat es Ihnen geschmeckt?«
    »Ja.« Bosch blinzelte ins Sonnenlicht. Weiße Zirruswolken trieben über den Himmel. Es musste schon früher Nachmittag sein. Auf einmal fand er, dass Henri – Coq au Vin hin oder her – seine Gastfreundschaft nun genug in Anspruch genommen hatte. Womöglich wollte er auch noch Kaffee trinken. »Sind Sie eigentlich mit dem Auto da?«
    »Warum?« Henri schaute ihn an. »Ja, ich chauffiere gerne selber … oh, ich verstehe.« Er schmunzelte. »Die Leinwand ruft, was?«
    Bosch seufzte. »Ganz ehrlich? Ja.«
    Henri lachte und hievte sich auf sein steifes Bein. Der Klappstuhl ratterte über die Holzbohlen, und die Enten stoben schnatternd davon. »Ich muss ohnehin los. Wer weiß, was die Bauarbeiter inzwischen angestellt haben.« Er hinkte um den Tisch herum und klopfte Bosch auf die Schulter. »Ich finde, wir sollten das bei Gelegenheit wiederholen, mon cher .« Er zwinkerte Bosch zu. »Und jetzt überlasse ich Ihnen den Abwasch.«
    Bosch begleitete ihn zur Tür. Vor dem Haus blockierte ein riesiger Oldtimer die Straße. Mit seiner altertümlichen Karosserie und ein paar Kratzern und Dellen im silbernen Lack erinnerte er an seinen Fahrer. In die Jahre gekommen, aber immer noch recht elegant.
    »Was ist denn das für ein Modell?« Bosch interessierte sich nicht für Autos, aber dieses hier gefiel ihm. Es sah aus, als warte ein Dinosaurier auf seinen Herrn.
    »Ein Rolls-Royce Silver Ghost, Baujahr 1920. Wenn Sie den größten Teil Ihres Berufslebens fernab der Zivilisation verbracht haben, können Sie auch so eine alte Mühle reparieren.« Henri seufzte. »Ein Erbstück von Grand-père, wie so manches andere auch.« Seine Stimme hatte einen nachdenklichen Unterton, aber Bosch konnte ihn nicht deuten.
    Fast erwartete er, dass Henri sich nun Halbfingerhandschuhe aus gelochtem Leder anziehen würde, aber der öffnete nur die Beifahrertür und kletterte auf den direkt dahinterliegenden Fahrersitz. Der Wagen wurde rechts gelenkt. Ein kurzes Winken zum Abschied, dann glitt der Silver Ghost wie ein Schatten die schmale Straße hinter den Seevillen entlang, bis er am Ende in Richtung Mondsee abbog.
    Es war schon fast vier Uhr, als Bosch die Küche aufgeräumt hatte und endlich an seine Staffelei zurückkehren konnte. Er nahm seine Palette zur Hand und wählte zwei Pinsel aus. Das Licht auf der Veranda war noch schwächer geworden. Wie eine mittelalterliche Titanic pflügte das Narrenschiff durch die Wellen eines schwarzen Ozeans, dem sicheren Untergang entgegen.
    »Es ist der Liebe milde Zeit, im Kahn den blauen Fluss hinunter, wie schön sich Bild an Bildchen reiht – das geht in Ruh und Schweigen unter«, murmelte Bosch. Bei Trakl fand er immer die rechten Worte.
    Er ließ die Pinsel sinken. Irgendwie fühlte er sich schwach. Sein Kopf war wie mit Watte ausgestopft. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Waren das die Vorboten eines Sonnenstichs? Er hatte zu lange in der Mittagshitze am Wasser gesessen. Seine Lust zum Malen war auf einmal vergangen.
    »Also gut, Schluss für heute.« Manchmal führte er Selbstgespräche, aber es störte ihn nicht.
    Bosch legte die Palette auf den Tisch und tauchte die Borsten der Pinsel in das Marmeladenglas mit Terpentin. Dann hob er den Mallappen hoch, um sie abzutrocknen. Dabei fiel ein schwarzer Gegenstand zu Boden. Zuerst war Bosch verwirrt, aber dann erkannte er die wollige Puppe mit dem Federhaarschopf.
    »Ha, ab in die Mülltonne mit dir.« Er bückte sich und griff nach der Figur. Im nächsten Augenblick riss er die Hand zurück. Etwas hatte ihn gestochen. Er starrte auf die Kuppe seines Zeigefingers. Zwischen den feinen Spiralen in der Haut quoll ein Blutstropfen hervor. »Das ist ja …«
    Er hob die Puppe vorsichtig hoch und nahm sie näher in Augenschein. Sie sah noch genauso widerwärtig aus wie am Morgen. Nur die gekreuzte Goldschnur um ihre Brust hatte

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