Totenkult
arme Huhn ist dabei ziemlich gealtert.« Er pickte mit zwei Fingern einen Streifen Hühnerhaut von seinem Teller und warf ihn dem Hund zu, der in der Nähe im Gras lag und das Fleisch geschickt mit der Schnauze auffing. Nur mit viel gutem Willen konnte man sein Verhalten nicht als Betteln bezeichnen. »Nettes Tier.«
Bosch schaute auf den Hund, der sich die Lefzen leckte und seinen Herrn ignorierte. »Hunde sind Opportunisten.«
Henri lachte. »Das macht sie ja so sympathisch.« Er griff nach der Weinflasche. »Aber was nun Madame Geiersberger angeht …«
Bosch schob ihm sein Glas hin. »Die Frau ist eigen.«
Henri wiegte den Kopf hin und her. »›Eigen‹ nennen Sie das? Das ist eine alte Hexe.« Er schenkte ihnen Wein nach und beugte sich dann, das Glas in der Hand, über den Tisch. »Wussten Sie, dass ihre Enkelin ein Verhältnis mit diesem Aschenbach hatte?« Er nahm einen großen Schluck.
Bosch kannte sich in den Familienangelegenheiten fremder Leute nie aus. »Wer?« Er wischte mit einem Stück Baguette seinen Teller sauber, um Platz für eine zweite Portion zu machen.
»Der kleine Rotschopf.« Henri grinste. »Das Mädel ist gerade mit der Schule fertig und hat schon einen Studienplatz in Wien. Medizin, die Kleine ist schlau.«
»Aha.« Bosch wusste nicht, was ihn das anging.
»Aber sie wollte den Platz an der Uni sausen lassen, um diesen Aschenbach zu heiraten.« Henri schüttelte den Kopf. Er nahm einen Hühnerflügel in die Hand und riss ihn am Gelenk auseinander. Die Kiefer des Hundes klappten gierig. »Können Sie sich das vorstellen? Kein Wunder, dass Madame Geiersberger außer sich war.« Er nahm die Flügelspitze zwischen die Zähne und zog das Fleisch vom Knochen.
Bosch starrte Henri an, dem die rote Soße von seinem breiten Mund troff, als wäre es Blut. »Wieso heiraten? Aschenbach war doch schon verheiratet.«
»Wäre er aber nicht mehr lange geblieben, mon cher .« Henri zog den spitzen Knochen zwischen den Lippen hervor. »Das Scheidungsverfahren war angeblich schon am Laufen.« Der Hund knurrte leise, aber Henri ignorierte die Aufforderung.
»Sagt wer?«
»Victoria, die Enkelin dieser Bio-Hexe.«
Damals, auf dem Gartenfest, hatten die Geiersberger und Aschenbach auf der Terrasse Streit gehabt. Vielleicht war es um seine Beziehung zu dem Mädchen gegangen. Und als er ins Haus getorkelt war, hatte die Alte zwischen den Gästen in der ersten Reihe gestanden. Und geradezu hämisch gelacht.
Henri senkte die Stimme. »Haben Sie mal gesehen, was die in ihrem Laden alles verkaufen?«
Bosch erinnerte sich an seinen ersten Besuch im Hofladen. Neben Gemüse wurden dort auch Kristalle und siderische Pendel angeboten. »Voodoopuppen?«
Henri legte seine Hühnerknochen sorgfältig auf dem Tellerrand ab. »Gesehen habe ich keine.« Er zuckte mit den Schultern. »Was nicht heißt, dass es dort keine gibt. Ich würde auch alles unternehmen, damit sich meine hoffnungsvolle Enkelin nicht ihr Leben mit so einem Filou ruiniert.« Seine Mundwinkel zuckten. »Immer vorausgesetzt, dass dieser Hokuspokus auch wirkt.«
Bosch fielen die Kisten mit den raschelnden Kräuterresten auf dem Tisch in der Landhausküche ein. Der Sprengelarzt, dieser Dr. Steindl, hatte Tod durch Herzversagen festgestellt. Doch was hieß das schon? Versagte im Todesfall am Ende nicht immer das Herz? Bosch merkte, dass Henris Augen auf ihm ruhten, kalt und glänzend wie Delfter Keramik.
»Ich bin kein Arzt«, fuhr Henri fort, »aber ich hatte Mühe, den Mann ins Bett zu kriegen. Er war betrunken, das ja, aber sonst war er ziemlich munter.« Er legte sein Besteck auf den Teller und schob ihn von sich weg. »Als ich gehört habe, dass er gestorben ist, konnte ich es einfach nicht glauben.«
Unter dem Steg kam die Entenfamilie hervorgepaddelt. Erpel, Ente und drei Halbwüchsige. Das vierte Junge fehlte schon seit Tagen. Vielleicht gab es im Wolfgangsee ja Waller. Bosch zerpflückte den Rest seines Weißbrots und warf die Stücke ins Wasser. Der Hund sprang auf und rannte zum Wasser. Aber er war zu langsam. Laut schnatternd stürzten sich die Vögel auf die Brocken.
Henri deutete mit dem Kinn auf das Dach des Bauernhauses hinter der Hecke. »Wie geht’s denn Ihrer Nachbarin?«
Bosch sah Frau Aschenbach zwar fast jeden Tag, wenn sie das Haus verließ und erst am Abend zurückkam, aber sie schien keine Zeit mehr für einen Plausch zu haben. Ihm konnte das nur recht sein. »Sie benutzt jetzt das Auto ihres Mannes.«
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