Totenkult
Fernseher gehalten hatte, war die Videoüberwachung. Das Haus war wie ein Gefängnis gesichert.
»Dr. Steindl, na endlich.« Frau Aschenbach sprang auf und rannte aus der Küche.
Die Haustür fiel ins Schloss, und ein Luftzug strich vom Flur über den Küchenboden. Bosch hörte Frau Aschenbach mit diesem Dr. Steindl im Flur sprechen. Schritte polterten die Treppe hinauf. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Gleich halb elf. Er fasste sich in Geduld. Eine dicke Hummel summte vor dem Küchenfenster und stieß immer wieder gegen die Scheibe. Bosch stand auf, ging hinüber und öffnete einen Fensterflügel, um das Tier in die Freiheit zu entlassen. Die Sonne stand jetzt höher und zauberte goldene Reflexe auf den See, dessen Wasser zwischen den Weiden glitzerte. Eine frische Brise wehte vom Ufer herauf und spielte mit den blühenden Stauden vor der Terrasse. Waren das Glockenblumen? Bosch kannte sich mit Pflanzen nicht aus. Er ließ das Fenster offen und kehrte zu seinem Platz zurück. Um kurz vor elf hörte er Dr. Steindl im ersten Stock telefonieren.
Ärger machte sich in Bosch breit. Das Mindeste wäre wohl, ihm mitzuteilen, ob er noch gebraucht wurde. Der Arzt brüllte irgendetwas ins Telefon. Boschs Ärger wandelte sich in Sorge. Frau Aschenbach hätte doch gleich die Rettung rufen sollen, anstatt zu ihm hinüberzulaufen. Möglicherweise wäre Roland Aschenbach dann noch am Leben. Nun würde man auch ihm einen Vorwurf machen. Das war die Quittung dafür, dass er sich in das Leben dieser Leute hatte hineinziehen lassen.
Bosch stand auf und ging zu der Tür, die in den Garten führte. Die kleine Kamera über dem Türsturz fing an zu blinken. Das Tastenfeld in Augenhöhe schien auf die Eingabe eines Zahlencodes zu warten. Vor wem die ganze Technik die Bewohner dieses Hauses auch schützen sollte, gegen den Tod war sie diese Nacht nutzlos gewesen. Bosch stieß die Tür auf, und zu seiner Erleichterung erklang kein Sirenengeheul.
Er lief den Kiesweg zum See hinunter. Inzwischen war es richtig warm geworden. Die Weiden bewegten sich im leisen Sommerwind wie ein grüner Vorhang. Im Grill schwammen halb verglühte Holzkohlestücke in einer trüben Brühe. Kleine Äste trieben zwischen den schwarzen Brocken. Bosch duckte sich unter den Weidenzweigen hindurch und stapfte über den nassen Ufersand auf sein eigenes Grundstück.
Umrahmt von blauen und rosafarbenen Hortensien schien das Holzhäuschen auf ihn gewartet zu haben. Die Fensterläden hingen ein wenig windschief an den verwitterten Rahmen. Bei seinem überstürzten Aufbruch hatte Bosch die Verandatüren offen gelassen. Wie kleine Sonnen sprenkelten die gelben Köpfchen des Löwenzahns die Wiese und schienen die Luft mit ihrem Leuchten zu wärmen.
Da hörte er das Winseln. Es war ein hoher Laut, als ob ein Kind leise weinte. Und er kam aus der Hecke.
Mit wenigen Schritten war Bosch bei den Büschen und zog die Zweige auseinander. Eingekeilt zwischen Ästen lag auf der nassen Erde der Hund. Zusammengekrümmt, den Kopf zur Seite gesunken und mit starrem Blick, schien er in den letzten Zügen zu liegen. Er hechelte, und die dünnen Flanken hoben und senkten sich wie im Krampf. Wieder drang ein Wimmern aus der halb offenen Schnauze.
»Hund …« Noch nie hatte Bosch ihn einen Laut von sich geben, geschweige denn bellen hören. Deshalb erschreckte ihn dieses Winseln umso mehr. Ohne weiter darüber nachzudenken, tauchte er in die Zweige. Scharfe Äste rissen die Haut an seinen Armen auf und zerkratzten sein Gesicht. Er griff unter die schlaffen Vorderpfoten, hob den Hund aus dem Gebüsch und hoffte, ihm nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen. »Ach, was hast du denn gemacht?«
Bosch presste den Hund an die Brust. Kälte und Nässe drangen durch sein Hemd. Blutrinnsale liefen von seinen zerschnittenen Armen auf das gelbe Fell und färbten es hellrot. Er hatte keine Ahnung von Tieren, aber dass der Hund todkrank war, das wusste er. Ihm war zum Weinen zumute.
»Mach dir keine Sorgen.« Bosch bemühte sich, seiner Stimme Festigkeit zu geben, um den Hund und vor allem sich selbst zu beruhigen. »Wir schaffen das.«
Das schlaffe Fellbündel in den Armen, hastete er den Hang hinauf. Er musste ein Taxi rufen. Der Fahrer kannte bestimmt den nächsten Tierarzt. Nur noch wenige Schritte bis zum Haus.
Vor der Terrasse waberte Verwesungsgestank. Im Gras lag, von Nacktschnecken umzingelt, noch immer das angefressene Steak. Ein Fliegenschwarm summte über dem in der
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