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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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ein graues Kästchen mit einem Tastenfeld, und über dem Türsturz blinkte eine kleine Kamera. Ihre Linse zielte genau in die Raummitte.
    »Ist das eine Alarmanlage?«, fragte er.
    Frau Aschenbach hob den Kopf. Zuerst schien sie ihn nicht verstanden zu haben, aber dann besann sie sich. »Alle Türen sind mit einem Fingerprint-Scanner gesichert.« Sie hielt den Zeigefinger hoch. »Roland ist ein Technikfreak. Sicherheitstechnik gehört dazu.« Ihre Mundwinkel bogen sich nach unten. »Wenn Ihr Finger nass ist oder schmutzig, kommen Sie nicht ins Haus. Ist mir schon zigmal passiert.« In ihrem Ton schwang eine Spur von Missmut über die Technikgläubigkeit ihres Mannes.
    »Ach.« Bosch fand sowieso, dass Technik das Leben nicht unbedingt vereinfachte. »Und was macht man dann?«
    »Man nimmt den guten alten Schlüssel, ganz einfach. Ich hab immer einen draußen griffbereit versteckt.« Ihre Augen glitzerten. Dann, als wäre ihr bewusst geworden, dass sie einem Fremden vielleicht zu viel verraten hatte, setzte sie hastig hinzu: »Das wird ab jetzt natürlich anders.«
    »Unbedingt.« Bosch schoss der Gedanke durch den Kopf, dass ihre Vorsicht zu spät kam. Dann besann er sich auf seine nachbarlichen Pflichten. »Kann ich irgendwen für Sie anrufen? Verwandte? Freunde? Oder einen Geschäftspartner, der …?«
    »Nein.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Sie brauchen sich nicht noch mehr Arbeit zu machen.«
    Bosch bemühte sich, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Frau Aschenbach war wirklich tapfer. Er streckte die Hand aus und tätschelte ihren knochigen Arm. Ihre Haut war kalt und fühlte sich rau an. Dicke blaue Adern zogen sich über ihre Hände und standen im Kontrast zu den rot lackierten Fingernägeln. Unwillkürlich stieg die Erinnerung an den Leguan in Bosch hoch, den er als Kind einmal im Salzburger Haus der Natur hatte halten dürfen. An seine Klauen mit den messerscharfen Krallen. Schnell schob er den Gedanken beiseite, zog aber die Hand weg. Langsam genug, wie er hoffte, um Frau Aschenbach nicht zu kränken.
    »Sie meinen also, es war ein Herzanfall?«
    Frau Aschenbach nahm einen Schluck Espresso und schaute ihn über den Rand der Tasse an. »Was denn sonst?«
    Bosch zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
    Henri hatte über Aschenbachs Vollrausch gespottet, aber nicht besorgt gewirkt. Also hatte Aschenbach auf ihn keinen kranken Eindruck gemacht. Sonst hätte Henri ihn nicht sorgfältig zugedeckt und seinem Schicksal überlassen. Jetzt fielen Bosch auch die makellosen Kopfkissen wieder ein. Außer Aschenbach hatte in dieser Nacht niemand in dem großen Bett geschlafen. Hatte das Ehepaar getrennte Schlafzimmer, oder wollte Frau Aschenbach nur nicht neben ihrem betrunkenen Ehemann liegen? Deswegen hatte sie vielleicht die ganze Nacht mit dem Toten im Haus verbracht. Und ihn erst vor ein paar Stunden entdeckt. Bosch hatte ein Gefühl, als sträubten sich ihm die Haare im Nacken. Ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Er wollte nicht mehr länger in diesem Totenhaus bleiben. »Ich glaube, ich werde dann mal –«
    »Nein, bitte … warten Sie doch noch.« Sie schob ihre kalten Finger über die Tischplatte und fasste nach seinem Ärmel. »Der Arzt muss ja gleich da sein. Sie müssen ihm sagen, wie Sie Roland gefunden haben.«
    Genau genommen hatte Bosch den Toten gar nicht gefunden. Das war sie gewesen. Aber dies war nicht der rechte Zeitpunkt für Spitzfindigkeiten.
    Frau Aschenbach ließ ihn nicht aus den Augen. Ihre Pupillen waren geweitet und fast schwarz. Hatte sie ein Beruhigungsmittel genommen? Bosch konnte es ihr nicht verdenken, aber er hätte sich wohler gefühlt, wenn sie geweint oder ein anderes Zeichen von Trauer gezeigt hätte. Als sie bei ihm aufgetaucht war, war sie völlig aufgelöst gewesen. Nun schien sie ihm auffallend gefasst. Ihre kühle Miene beunruhigte ihn, obwohl er nicht sagen konnte, warum. Sicher war das der Schock. Schließlich reagierte jeder Mensch anders auf den Verlust eines nahen Angehörigen.
    Auf dem Weg hinter dem Haus war das Nageln eines näher kommenden Dieselmotors zu hören. Frau Aschenbach ließ seinen Ärmel los. Gleich darauf verstummte das Geräusch, und eine Autotür wurde zugeschlagen. Ein Summen ertönte. Neben der Tür leuchtete der Bildschirm auf. Ein großer Geländewagen kam ins Bild, dann ein Mann im weißen Polohemd, der, eine Tasche in der Hand, missmutig auf das große Eingangstor starrte. Das, was Bosch für einen

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