Totenkult
Sonne gärenden Stück Fleisch.
SIEBEN
»Gewaltig endet so das Jahr, mit goldnem Wein und Frucht der Gärten, rund schweigen Wälder wunderbar und sind des Einsamen Gefährten.« Bosch murmelte die Verse von Trakl, während er seinen Pinsel auf die Palette stupfte.
Das Licht war wärmer geworden und die Schatten länger. Mitte August war im Salzkammergut der Spätsommer da, und in der Luft lag bereits eine erste Ahnung vom kommenden Herbst. Die lanzenförmigen Weidenblätter, die vereinzelt den Rasen vor Boschs Holzhäuschen sprenkelten, waren gelb verfärbt. Die Hortensien waren verblüht und hatten bronzefarbenen Astern und blutroten Dahlien Platz gemacht. Über dem See waberten morgens Nebelschwaden, und die flaumigen Entenküken hatten ein glattes Gefieder bekommen.
Bosch fing seine Arbeit jetzt immer auf der Veranda an. Erst wenn es wärmer wurde, wechselte er mit Malutensilien und Staffelei in den Garten. Nun ging es schon auf Mittag zu, aber er war so vertieft in sein Bild, dass er die Zeit ganz vergessen hatte. »Das Narrenschiff« sollte sein neuestes Werk heißen. Ob es am ruhigen Landleben lag oder doch an dem See, der heute wie ein riesiger Opal, gefasst von Bergen, in seinem Bett ruhte – Bosch hatte noch nie so konzentriert und schnell gearbeitet. Bilder und Farben tauchten vor seinem inneren Auge auf und drängten auf Umsetzung. Es war ein ständiger kreativer Schwebezustand. Er genoss jeden Tag.
Er kniff die Augen zusammen und betrachtete das Boot, sein Narrenschiff, das auf grünen Wellen dahintrieb. An Bord zechte eine fröhliche Gesellschaft. Früchte und Fleischstücke quollen über die Reling, und am Mast hing an einem Hinterbein ein gebratenes Spanferkel. Das Segel flatterte und schlug im Wind. Die Menschen schienen nicht nur die Barke, sondern auch sich selbst führerlos ihrem Schicksal überlassen zu haben.
An der Wand lehnte eine mit einem grauen Tuch verhängte Leinwand. Es war das angefangene Bild »Der Magier«. Bosch hatte die Arbeit daran abbrechen müssen. Es lag nicht nur an den Gesichtszügen, die einfach keine Gestalt annehmen wollten. Bosch hatte auch keine Ahnung, wie er das Umfeld der Figur oder den Hintergrund gestalten sollte. Es war, als wollte sich ihm dieses Bild entziehen. Oder ihn verhöhnen.
Die Gartenpforte quietschte. Der Hund in seinem neuen Korb hob den Kopf. Seit er aus der Tierklinik zurück war, lebte er im Haus. Bosch hatte zunächst befürchtet, sein Freund habe Rattengift gefressen und müsse innerlich verbluten. Aber außer Herzrasen und Kreislaufstörungen hatte der Tierarzt nichts feststellen können. Was bei einem Streuner dunkelster Herkunft nicht verwunderlich war. Wieder zu Hause hatte der Hund den Platz im Haus sofort angenommen. Jetzt knurrte er und sträubte das Nackenfell. Die Glocke an der Haustür erklang.
»Hans? Jemand zu Hause?«
Bosch wischte den Pinsel an dem Leinenlappen ab. »Die Tür ist offen!« Er nickte dem Hund zu. »Das ist nur Henri.«
Gleich darauf polterten unrhythmische Schritte durchs Haus. Henri steckte den Kopf durch die Verandatür. In der einen Hand trug er eine Einkaufstüte, aus der ein Stangenweißbrot und eine Zeitung ragten. Mit der anderen Hand hielt er Bosch etwas entgegen, das wie ein nasses Wollknäuel aussah.
»Schauen Sie, was ich neben Ihrer Eingangstür gefunden habe.« Er hielt das Ding in die Höhe. »Betreiben Sie Abwehrzauber, mon cher , oder ist das Voodoo?«
Bosch legte den Mallappen und den Pinsel neben die Farbtuben auf den Tisch. »Was ist das?«
Henri musterte das wollige Ding in seiner Hand und drehte es hin und her. »Ich dachte, das könnten Sie mir sagen.« Er runzelte die Stirn. »Das letzte Mal habe ich so etwas beim Mardi Gras in New Orleans gesehen.«
Bosch ging zu Henri hinüber und betrachtete das schwarze Knäuel. »Wo, sagen Sie, war das?«
»In Ihrem Garten, neben der Tür.« Er drückte Bosch das Ding in die Hand. »Da hat jemand was gegen Sie, was?«
Es war eine kleine Puppe. Ihr Skelett bestand aus einem Kreuz, um das erst trockenes Moos und dann schwarzer Wollfaden gewickelt war. Auf dem dicken Kopf saß ein Haarschopf aus Moos und bunten Federn. Zwei Kaffeebohnen waren als Augen aufgeklebt. Die Hände bestanden aus Grasfasern, die lang herabhingen und wie Hunderte von Fingern aussahen. Über der Brust verlief kreuzweise eine goldene Schnur. Angewidert starrte Bosch auf das Ding. Die Wolle kratzte in seiner Hand, als wollte sich die Puppe aus seinem Griff befreien. Das
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