Totenkult
sich, wohl beim Aufprall auf den Boden, verschoben. Da, wo sich bei einem lebenden Menschen das Herz befand, steckte eine Nadel. Ihr Kopf glänzte so rot wie die Blutperle auf Boschs Finger.
ACHT
Jadegrün schillerte der Fuschlsee an diesem heißen Morgen, als Marie Aschenbach im schwarzen Porsche ihres Mannes daran vorbeibrauste. Es war das zweite Mal seit Rolands Begräbnis, dass sie von St. Gilgen nach Salzburg fuhr. Dr. Steindl hatte Herzversagen festgestellt, dann war der Tote abgeholt worden, und alles andere war Sache des Beerdigungsinstituts gewesen. Nicht einmal den Blumenschmuck hatte Marie aussuchen müssen. Nur das schwarze Kostüm von Armani, das sie ohne Weiteres auch noch zu den Festspielen tragen konnte.
Marie warf einen Blick auf das Schlosshotel Fuschl, das malerisch zu ihrer Rechten am Seeufer lag. Seine Silhouette tanzte auf dem von kleinen Wellen gerippten Wasser. Wenn der Banktermin nicht zu lange dauerte, würde sie sich auf der Rückfahrt dort ein Mittagessen auf der Terrasse gönnen. Haubenküche hatte kaum Kalorien.
Auch Rolands Anwalt war auf der Beerdigung gewesen. Wie erwartet, hatte Roland kein Testament hinterlassen. Marie war die Alleinerbin. Sie hatte Roland richtig eingeschätzt. Es hätte nicht zu seiner Lebenseinstellung gepasst, ein Testament zu machen. Ein Mann wie Roland war unsterblich. Oder wurde mindestens hundert, und zwar bei bester Gesundheit. Und das mit einem Schulmädchen an seiner Seite.
Der kleine Mops, Victoria oder wie auch immer, war sich nicht zu blöd gewesen, im schwarzen Minikleid auf dem Friedhof aufzutauchen. Eines musste man ihr lassen – sie schien ehrlich erschüttert. Was man von ihrer Großmutter, die sie begleitet hatte, nicht sagen konnte. Auch wenn sich Maries Trauer in Grenzen hielt – das Grinsen der Alten bei der Begräbnisfeier war unpassend gewesen.
Lautes Dröhnen ließ die Luft vibrieren. Auf dem Salzburgring fand ein Motorradrennen statt. Das Donnern der Maschinen war sogar in ihrem ohnehin nicht leisen Sportwagen zu hören. Sie schloss das Schiebedach.
Jetzt roch der Innenraum des schwarzen Porsche intensiv nach Rolands Rasierwasser. Fast konnte man meinen, Roland säße neben ihr und würde gleich mit seinen bissigen Kommentaren über ihre Fahrkünste anfangen. Sollte er es unverdient in den Himmel geschafft haben, konnte einem der Lenker seiner Wolke nur leidtun. Aber Marie hatte zurzeit kein anderes Auto. Seit der Attacke im Schlosshof stand ihr Cabrio mit hochgeklapptem Verdeck in der Garage und wartete darauf, vom Händler abgeholt zu werden. Der sollte den Wagen verkaufen. Vor zwei Tagen hatte Marie dafür die Autopapiere aus dem Handschuhfach geholt. Dabei war ihr Blick auf den zerschnittenen Fahrersitz gefallen. Sofort war er wieder da gewesen, der schreckliche Moment im Schlosshof, der sie bis in ihre Alpträume verfolgte. Der Messerstecher hatte das Auto getroffen, aber den Fahrer gemeint. Marie fasste das Lenkrad fester.
Roland war in der letzten Zeit nervös gewesen. Schon beim Umbau des Hauses hatte sie sich über die ganze Sicherheitstechnik gewundert, die er für nötig hielt. Aber er hatte das mit der abgeschiedenen Lage des Hauses begründet. Alle Ferienhäuser hätten Alarmanlagen, hatte er gesagt. Aber nicht alle Ferienhausbesitzer schalteten jeden Abend die Videoüberwachung ein, kaum dass sie im Haus waren.
Immer wenn Marie die Kurve vom Gaisberg nach Salzburg hinunterfuhr, hatte sie das Gefühl, als tauche sie in ein stickiges Labyrinth aus Gassen, verwinkelten Dächern und Kirchtürmen. Gut sichtbar waberten darüber die Ausdünstungen der Stadt. Marie begann unwillkürlich, flacher zu atmen. Seit sie in St. Gilgen wohnte, meinte sie, den Unterschied zwischen Stadt und Land riechen zu können. Längst hatte sie beschlossen, das Penthouse im Nonntal, in dem es im Sommer immer so unerträglich heiß wurde, nur noch im Winter zu nutzen und den Rest des Jahres am Wolfgangsee zu leben.
Sie reihte sich in eine der Autokolonnen ein, die wie Meeresströmungen den Kapuzinerberg mitten in der Stadt umfluteten. Jetzt half auch kein starker Motor mehr, sondern nur noch Geduld. Marie griff in ihre Tasche auf dem Beifahrersitz und fischte Zigaretten und Feuerzeug heraus. Ein Jahr hatte sie nicht geraucht. Wenn man Kinder haben wollte, durfte man nicht rauchen. Am Tag, als sie in Rolands Büro vergeblich versucht hatte, in das Computerprogramm einzusteigen, hatte sie wieder damit angefangen. Als ihr klar geworden
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