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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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war, dass sie ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen musste.
    Die Autokolonne schob sich im Schritttempo voran. Auf Höhe der Nonntaler Brücke kam sie zum Stehen. Die Altstadt am gegenüberliegenden Flussufer war mit rot-weiß-roten Fahnen geschmückt. Halb nackte Touristen und aufgedonnerte Festspielbesucher bevölkerten die Kais. Die Salzach trieb in grünen Strudeln dahin, und die »Amadeus«, das weiße Ausflugsschiff, pflügte voll besetzt durch ihre Wellentäler. Über dem berühmten Panorama krönte die Festung wie eine Tiara den Mönchsberg. Im August war Hochsaison in Salzburg.
    Marie öffnete das Schiebedach, legte den Kopf in den Nacken und blies den Zigarettenrauch zum Himmel empor. Servus, Roland.
    Der Banktermin war für elf Uhr vereinbart. Um zehn Minuten vor elf fuhr Marie in die Tiefgarage und ergatterte einen der letzten Parkplätze.
    Rolands Bankbetreuer, ein Herr Mayer, erwartete sie an seinem Schreibtisch in der Schalterhalle. Bei ihrem Anblick erhob er sich höflich, knöpfte seine Jacke zu und streckte die Hand aus. »Frau Aschenbach?«
    Marie lächelte und schüttelte ihm die Hand. Der Mann konnte sie nicht kennen. Roland hatte sie nie zu seinen Bankgeschäften mitgenommen.
    Herr Mayer deutete auf einen der zwei Sessel vor seinem Schreibtisch. Marie setzte sich auf den einen und stellte ihre große Hermès-Tasche auf den anderen. Jetzt war sie doch ein wenig aufgeregt. In wenigen Minuten würde sie wissen, über wie viel Vermögen sie in Zukunft verfügen konnte.
    »Frau Aschenbach, ich darf Ihnen zunächst unser herzliches Beileid ausdrücken.« Herr Mayer machte eine angemessen ernste Miene.
    Auch Marie ließ ihr Lächeln verblassen, schließlich hatte er sie gerade daran erinnert, dass sie eine trauernde Witwe war. »Danke«, hauchte sie.
    »Sollten Sie irgendwelche Fragen haben, zögern Sie bitte nicht, sie zu stellen. Dazu sind wir ja da.« Er beugte sich über den Schreibtisch und senkte die Stimme. »Diskrete Vermögensveranlagung ist unser Geschäft.«
    Das konnte Marie sich vorstellen. Wahrscheinlich hatte ebendieser Jüngling Roland geholfen, sein Vermögen vor ihr zu verstecken. Oder, wie er es nannte, diskret zu veranlagen. »Völlig klar.«
    »Sehr schön.« Der junge Bankangestellte drehte einen teuren Kugelschreiber zwischen den Fingern. Sein Kurzhaarschnitt war mit Gel zu einer Bürste frisiert. Er ließ seinen Blick über ihren Seidenanzug von Versace gleiten. »Wir stehen natürlich auch Ihnen in Zukunft jederzeit mit unserem Fachwissen zur Verfügung.«
    Marie lächelte. »Mein Anwalt hat gesagt, dass noch Unterlagen bei Ihnen im Tresor liegen. Ich möchte mir heute erst einmal einen Überblick verschaffen.«
    Die Konten hatte sie sich schon vorgenommen, aber die waren noch genauso leer wie beim letzten Mal. Wenn Roland im Keller der Bank keine Goldbarren gebunkert hatte, sah es schlecht für sie aus. Hoffentlich faselte der Junge hier nicht grundlos von Vermögensveranlagung.
    Herr Mayer nickte. »Ihr Mann hatte schon seit Jahren ein Schließfach bei uns.«
    »Ich nehme alles mit.« Für den Fall, dass er Einwände hatte, legte sie so viel Geschäftsmäßigkeit wie möglich in ihre Stimme und warf einen Blick auf das brillantbesetzte Zifferblatt ihrer Uhr. »Wenn wir also jetzt …«
    Tatsächlich straffte sich der junge Mann und legte endlich den Stift weg. »Dann darf ich Sie um die Legitimationskarte bitten. Den Schlüssel haben Sie dabei?«
    Marie klappte ihre Handtasche auf und suchte nach dem weißen Briefumschlag, den ihr der Anwalt gegeben hatte. Sie fand ihn nicht sofort, aber es war ihr egal, schließlich war sie ab jetzt Kundin, und der Junge wurde für seine Zeit bezahlt. Endlich hatte sie den Umschlag gefunden. Sie zog die Legitimationskarte heraus und reichte sie über den Schreibtisch. Den Schlüssel steckte sie griffbereit in die Jackentasche. Sie konnte es kaum noch aushalten.
    Herr Mayer prüfte umständlich den Ausweis, dann schaute er hoch. »Gut, ich führe Sie jetzt in unseren Tresorraum, wenn es Ihnen recht ist.«
    »Nur zu, nur zu.« Marie erhob sich, strich die inzwischen etwas zerknitterte Seide ihres Jacketts glatt und schloss die Finger fest um die Henkel ihrer Handtasche.
    Der Tresorraum befand sich tatsächlich im Keller der Bank. Marie hatte einmal einen Film gesehen, der im Todestrakt eines amerikanischen Gefängnisses spielte, und fühlte sich unangenehm daran erinnert. Ein langer Gang, von grellem Neonlicht geflutet, endete an einem

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