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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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mit den Schultern, wandte sich wieder dem Chaos auf seinem Schreibtisch zu und blätterte einen Stapel Papiere durch. Die Seiten waren mit der schrägen schwarzen Tintenschrift bedeckt, die offenbar der Familie Mortin eigen war. Henri klopfte die Seiten bündig und schob das Ganze in die Aktentasche. Dann runzelte er die Stirn und schaute sich um, als suchte er etwas.
    »Henri?«
    »Hm?« Er steckte den Zeigefinger unter einen Ordner, hob ihn an und spähte darunter. » Merde , ich finde dieses Programmheft nicht. Für den Kongress in Stockholm nächsten Monat.« Er klang so hilflos und zerstreut, dass Bosch ihm fast beim Suchen geholfen hätte.
    »Henri, ich muss mit Ihnen reden.«
    Henri sah nicht auf. »Tun Sie das, mein Lieber, ungeniert.«
    »Ich weiß, was Sie getan haben.«
    »Aha.« Henri bückte sich und schaute unter den Schreibtisch.
    »Sie haben Roland Aschenbach umgebracht.«
    Da tauchte Henri wieder auf, ihre Blicke trafen sich. Der Ausdruck in Henris vorstehenden Augen war genervt. Auf einmal fragte sich Bosch, ob er sich nicht geirrt hatte. Vielleicht hatte der Koch den Holzspieß ja gebraucht, um zu prüfen, ob das Spanferkel durch war. Ohne weiter nachzudenken, geradezu kopflos, war er losgefahren, um Henri mit seinem Verdacht zu konfrontieren. Wie es schien, war er gerade dabei, sich wieder einmal lächerlich zu machen.
    Henri seufzte. »Ach ja?« Er unterbrach seine Suche und faltete die Hände auf dem Schreibtisch. »Ich bin wirklich sehr pressé, mon cher . Kann das nicht alles warten?«
    »Haben Sie mich verstanden?«, fragte Bosch.
    Henri ließ sich auf seinem schwarzen Thron zurückfallen. Seine kräftigen Hände umschlossen die Löwenköpfe auf den Armlehnen. »Hans, ich bitte Sie.« Er seufzte. »Ich habe jetzt einfach keine Zeit für so etwas. In zwei Stunden muss ich zum Flughafen. Und wie Sie sehen, habe ich noch zu tun.« Er deutete auf die Papierstapel vor sich. »Spätestens zu Weihnachten bin ich zurück. Dann trinken wir in Ruhe ein Glas Wein zusammen.« Er hob die rechte Hand. »Dabei fällt mir etwas ein.« Er legte den Zeigefinger an seine Knollennase. »Sie könnten etwas für mich tun.«
    Bosch starrte Henri an. Der erwiderte seinen Blick mit einem Lächeln. »Welchen Gefallen?«
    »Sie wissen doch, dass die Baufirma eine Wand durchbrochen hat?« Henris Stimme schwankte zwischen Ärger und Bedauern. »Im Refektorium, dort, wo die Danba hängt?«
    Der nepalesische Wandteppich. Verknotete Stoffstreifen, die bis auf den Boden hingen. Weiße Totenschädel, aus deren Mündern roter Rauch aufstieg. Natürlich hatte Bosch die nepalesische Patchwork-Arbeit nicht vergessen. Die Spitze des Brieföffners auf dem Schreibtisch zielte genau auf ihn. Aber er hatte gesehen, was er gesehen hatte. »Sie haben Roland Aschenbach ermordet.« Bosch betonte jedes Wort.
    Henri ignorierte den Vorwurf. »Hinter der Danba haben die Arbeiter eine alte Ziegelwand aufgebrochen.« Er schüttelte den Kopf. Es war eine unbedeutende Sache, aber doch lästig. »Kurz und gut, die Männer kommen in zwei Wochen und mauern das Ganze wieder zu. Ich dachte, ich sag’s Ihnen, weil Sie die Bauaufsicht haben.« Seine Mundwinkel zuckten. »Bitte, schauen Sie doch, dass alles wieder so wird wie vorher, ja? Ich möchte keinen Ärger mit dem Denkmalamt.«
    Fast hätte Bosch genickt. Gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich daran, weshalb er gekommen war. Er stützte die Hände auf die Schreibtischplatte und beugte sich vor, als wollte er Henri mit der Stirn berühren. Der wich zurück. »Henri, ich komme direkt aus Aschenbachs Haus. Ich denke, Sie wissen, was ich da gefunden habe.«
    Henri hob die Schultern. »Keine Ahnung.« Sein Clownsgesicht strahlte.
    »Einen Jagdpfeil. Mit gekerbtem Schaft.«
    Henris Brauen schossen in die Höhe. »Einen … das ist völlig unmöglich.« Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, nein.«
    »Glauben Sie mir.« Das waren immer Henris Worte gewesen. Und er, Bosch, hatte ihm geglaubt. Er hatte Henri vertraut. »Genau so ein Pfeil ist auf einem der alten Bilder, die Sie damals in der Bibliothek sortiert haben. Erinnern Sie sich? Tapir-Jagd in Südamerika. Großpapa war schließlich auch Großwildjäger.« Bosch schob die Hände in die Hosentaschen. Das Gepardenfell knisterte unter seinen Schuhen. »Ich wette, Sie wissen, wie man mit einem Jagdpfeil umgeht.«
    Henri fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Nein, nein, ich meine, es ist unmöglich, dass Sie ihn gefunden haben. Ich habe ihn

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