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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Pfeile, und auch die Bemalung einer Hand war im Lauf der Jahrhunderte verblichen, sodass es aussah, als hätten seine Peiniger sie ihm abgeschlagen. Marie lehnte sich mit dem Rücken an eine Wand und schloss die Augen. Der Putz fühlte sich glatt und kalt an. Schon spürte sie, wie Kälte und Feuchtigkeit durch ihre Haut drangen, um von ihrem Körper Besitz zu ergreifen.
    »Adieu, Madame«, sagte Henri. »Seien Sie klug.«
    Die Tür schnappte zu, und der Schlüssel drehte sich im Schloss. Marie schaute zu den hohen Fenstern hinüber. Die Blätter der Bäume bewegten sich immer noch. Aus der Ferne hörte sie Wellen des Sees unablässig an die Felswand schlagen.

FÜNFZEHN
    »Es herbstelt«, sagte der Taxifahrer, als er den Wagen in den Wald und nach Fürberg hinauflenkte. Die Baumkronen schlossen sich zu einem dunklen Tunnel. Wenn die Scheinwerfer die fahlgelben Laubhaufen am Straßenrand erfassten, schienen sich dort glitzernde Berge aus Goldmünzen aufzutürmen. »Sie werden sehen, in drei Wochen haben wir den ersten Frost. Und hundert Tage nach dem ersten Frost schneit’s zu, heißt’s.«
    Bosch murmelte eine Antwort und drückte sich tiefer in den Rücksitz. Seine Uhr zeigte halb acht. Die Dämmerung senkte sich über das Salzkammergut. Die untergehende Sonne tönte den Himmel schildpattfarben, als wäre er mit Fischschuppen statt mit Wolken bedeckt. Rechts unterhalb der Straße konnte Bosch den Wolfgangsee sehen, breit und grau glänzend wie der Rücken eines riesigen Wallers. Nebel stieg aus der Mitte des Sees, dort, wo kaltes Wasser auf wärmere Luft traf. Über die Berghänge floss weißer Dunst. Engelshaar auf einem Christbaum, dachte Bosch. Bald musste er sich für das kommende Wintersemester vorbereiten. Oder kündigen.
    Die Straße wurde kurvig, und Bosch ließ sich in ihrem Rhythmus hin und her bewegen. Der Fahrtwind trieb Blätter in einem wirbelnden Tanz an seinem Fenster vorbei. Endlich traten die Bäume zurück, wurde das Laub lichter, und das Schloss lag in seiner ganzen Pracht da. In diesem Moment öffnete sich ein Spalt in der Wolkendecke, und ein letzter Sonnenstrahl vergoldete seine Erker und Zinnen. Dazwischen lagen Schatten.
    »Schaun S’, wie schön.« Die Reifen des Taxis knirschten über den Kies des Vorplatzes. Mit einem Ruck kam der Wagen vor den Eingangsstufen zum Stehen. »So, da wär’n wir. Ich glaube, Sie werden schon erwartet.«
    Durch das Ochsenauge über der Eingangstür konnte man den Kronleuchter in der Halle brennen sehen. Sonst lag das Schloss im Dunkel. Nur in einem Zimmer im Erdgeschoss schien Licht. Bosch bezahlte den Fahrer. Dann stieg er die Stufen zur Schlosstür hinauf und zog an dem rostigen Klingelzug.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis Cesario die Tür öffnete. Dafür machte er sofort den Weg frei und ließ Bosch eintreten. Die Halle war hell erleuchtet, und die Kerzen des riesigen Kronleuchters spiegelten sich in den gläsernen Schaukästen. Auf dem schwarz-weißen Marmorboden standen zerkratzte Lederkoffer mit bunten Aufklebern. An einem lehnte ein schwarzer Spazierstock mit silbernem Knauf, und darauf lag ein Herrenhut aus Stroh. Es war ein Panamahut. Das sah nach Vorbereitungen für eine längere Reise aus.
    »Don Hans«, sagte Cesario und deutete eine Verbeugung an. Zwischen seinen Augenbrauen stand eine steile Falte. Sein weißes Hemd und die Jeans waren staubbedeckt. Vielleicht hatte er die Koffer vom Speicher geholt oder Wertgegenstände sicher verstaut. »Buenas tardes, señor.« Er blickte zu dem Taxi, das eben durch das Schlosstor davonfuhr.
    »Cesario, ich muss unbedingt mit Henri sprechen.«
    Der junge Mann reagierte nicht.
    »Wo finde ich Herrn de Mortin?« Bosch legte noch mehr Dringlichkeit in seine Stimme.
    Cesario drehte sich um, als kehrten seine Gedanken aus weiter Ferne zurück. »Don Henri?« Sein dunkles Gesicht war in sich gekehrt und verschlossen. Aber sein Blick irrte herum. »En la oficina.«
    Das half Bosch nicht wirklich weiter. »Wo?«
    Cesario öffnete den Mund und beugte sich ein wenig vor, sodass Bosch das Gefühl hatte, als wollte er ihm etwas mitteilen. Etwas, das keine Wegbeschreibung war. Aber dann wurde sein Gesicht wieder zur Mayamaske, und er deutete vage in die Richtung hinter Boschs Rücken. »Don Henri.« Er nickte noch einmal zur Bekräftigung, dann drehte er sich um und ließ Bosch einfach stehen. Durch eine Seitentür neben dem Glaskasten mit dem indianischen Federkopfschmuck verließ er die Halle.
    Bosch blieb nichts

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