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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Bänder, die von dem Stoff bis auf den Boden reichten. Mit einem Zischen entzündete sich die alte Seide, die Flammen kletterten an den Stoffstreifen empor und fraßen sich in die Fabelwesen und Totenschädel, die das Muster des Teppichs bildeten. Echter Qualm stieg nun aus ihren aufgerissenen Mündern.
    Wie hypnotisiert starrte Marie aus ihrem Versteck auf den brennenden Stoff. Da packte Cesario eine Ecke des Teppichs, riss ihn von der Wand und rannte, eine Bahn aus Funken und Rauch hinter sich herziehend, zu der Tür am Ende des Refektoriums. Im nächsten Augenblick war er verschwunden.
    Eine warme Welle schoss durch Maries Körper. Sie streckte ihre verkrampften Beine von sich. Die unmittelbare Bedrohung war vorbei. Sie hätte erleichtert sein sollen, sogar glücklich. Aber ihre Augen brannten von Staub und Rauch, ihre Kehle war vom Wassermangel wie ausgedörrt, und die Kälte des hohen Ziegelgewölbes schlich sich in ihre Glieder. Sie fühlte sich so erschöpft, dass sie sich am liebsten auf dem nackten Boden ausgestreckt und einfach die Augen geschlossen hätte. Nur der Gedanke an Cesario, der jeden Augenblick zurückkehren und gründlicher nach ihr suchen konnte, hielt sie davon ab. Der Mann war Henri durch die halbe Welt gefolgt und ihm sicher blind ergeben. Wahrscheinlich hatte er sie aus ihrem Verlies geholt, weil sie durch das Feuer zu viel Aufmerksamkeit erregt hatte. Vor der Kapelle verlief also doch ein Wanderweg, genau wie sie vermutet hatte.
    Natürlich musste Cesario sie seinem Herrn ausliefern, sobald er zurückkam, weil er sie im Schloss nicht gefunden hatte. Und da war auch noch Henri selbst, ihr Henker, der das Feuer sicher auch bemerkt hatte und vielleicht schon selbst nach ihr suchte. Wenn die beiden sie nirgends entdeckten, würden sie über kurz oder lang ins Refektorium zurückkehren und sie hier finden. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit.
    Marie krabbelte unter dem Tisch hervor. Schnell stand sie auf und ging durch das Refektorium zur Tür. Kurz schaute sie sich noch einmal um.
    Ohne den Wandteppich klaffte der Mauerdurchbruch wie ein Maul mit abgebrochenen Zähnen. Immer noch quoll Rauch aus ihm, aber die Schwaden wurden dünner. Außer dem Feldbett und den Expeditionskisten hatte es nichts Brennbares in der Felsenkapelle gegeben. Vielleicht hatte Cesario gewusst, was die Kisten enthielten. Bei dem Gedanken an die abgeschlagenen Menschenköpfe, die nun im Feuer verbrannt waren, rebellierte Maries Magen. Sie presste die Hand vor den Mund, um sich nicht zu übergeben.
    Da hörte sie ein Knistern und Prasseln von der anderen Seite, vom Schloss her. Rasch drehte Marie sich um und blickte durch die Tür. Sie erstarrte. Im Gang, ihrem einzigen Fluchtweg, zuckten rote Lichter. Eine Explosion knallte rechts von ihr, etwas zerbrach, und Teile prasselten auf den Boden. Maries Herz schlug wie verrückt. Cesario, dieser irre Wilde, hatte mit dem lodernden Fetzen des Wandbehangs den Gang in Brand gesteckt. Auf einmal war alle Müdigkeit verflogen. Marie trat über die Schwelle.
    Aus den schweren Vorhängen an den Spitzbogenfenstern schlugen Flammen, zahlreiche Glasvitrinen waren in der Hitze geborsten. Der Boden war von einem leuchtenden Scherbenteppich bedeckt, der den Feuerschein orangerot reflektierte. Dazwischen lagen Arme und Beine zerbrochener Tonfiguren. Der ausgestopfte Paradiesvogel reckte im Feuertod seine glühenden Schwingen zur Decke empor. Das Ende des Ganges war raucherfüllt.
    Eine einzige Stelle hatte der Brand wie durch ein Wunder nicht erfasst. Ein paar Meter von Marie entfernt saß der Affengott, unverletzt und unbeeindruckt von dem Inferno, auf seinem Podest. Er schwang das Schwert mit seiner dürren Pfote über dem Kopf und hatte Marie seine Fratze zugewandt. Seine Miene erschien ihr voller Triumph und des Sieges gewiss. Als hätte er ihren Tod vorausgesehen und warte gelassen auf die Erfüllung seiner Prophezeiung.
    Der kleine Kürbis mit dem Gift tauchte vor Maries innerem Auge auf. Wenn sie das Gift genommen hätte, läge das Sterben bereits hinter ihr. Nun würde sie bei lebendigem Leib verbrennen. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle.
    Der Affengott schien auf sie zu warten. Hell strahlte sein Fell vor dem immer dichter und dunkler werdenden Rauch, der durch die Tür am Ende des Ganges quoll. Sein scharfes Schwert glänzte golden, aber es stellte keine Gefahr mehr für sie dar. Marie erkannte, dass der Affe nur den Eingang zum Paradies bewachte.
    Wie in Trance machte sie sich

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