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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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auf den Weg. Vorsichtig und auf Zehenspitzen balancierte sie, so gut es ging, zwischen dem zerbrochenen Glas. Wenn sie auf die scharfen Kanten trat, schienen sie ihre Sohlen nur zu kitzeln. Mit pochendem Herzen und schweißnassen Händen, aber ihres Tuns vollkommen sicher, schritt sie wie ein Fakir über das glühende Scherbenbett. Hin zu dem Affengott, der ihr mit weiß-roten Augen entgegenstarrte.

NEUNZEHN
    Der Sturm rüttelte an den Fenstern des Arbeitszimmers und heulte in den Kaminen des Schlosses. Dichte Wolken trieben hinter den bleigefassten Scheiben vorbei, und die verzogenen Rahmen ächzten. Die Lüftungsklappe über der Feuerstelle schlug auf und zu und verbreitete mit jedem Schlag den Geruch nach kalter Asche im Raum. Als wäre mit dem Kaminfeuer auch das Leben erloschen, war es kalt und still in dem Raum geworden. Seit Henri Cesario gerufen hatte, hatten er und Bosch kein Wort gewechselt.
    Bosch dachte an sein Holzhaus, in dem es jetzt warm und gemütlich war. An seinen Hund. Um diese Zeit teilten sie sich gewöhnlich ihr Abendessen. Er hatte dem Streuner kein Glück gebracht. Durch seine Schuld wäre er fast vergiftet worden, und nun würde er verhungern. Bosch sah den Hund wieder vor sich, wie er, beschienen vom Mondlicht, auf dem Steg saß, einen Strick mit einem Stein um den Hals. Ein unbeleuchtetes Elektroboot hatte sich in jener Nacht im Schutz der Dunkelheit über den See entfernt.
    Bosch hob den Kopf und fixierte Henri, der auf seinem Thron saß und vor sich hinstierte. »Gibt es hier eigentlich ein Boot?«
    »Was?« Henris Stimme kam wie aus weiter Ferne.
    »Unten an der Falkenwand habe ich eine Bootshütte gesehen.« Wie die meisten Gebäude direkt am See verfügte auch das Schloss über einen Privatanleger. »Und eine Anlegestelle.«
    »Ach so, ja. Ein altes Segelboot. Aus den dreißiger Jahren. Ich weiß nicht, ob es noch seetauglich ist.« Henri schaute zur Tür.
    »Und ein Elektroboot?«
    »Auch.« Er klang gereizt.
    Er sollte einfach aufstehen und gehen. Henri konnte ihn nicht zurückhalten. Aber sie warteten auf Cesario. Der brauchte allerdings erstaunlich lange, um dem Ruf seines Herrn Folge zu leisten. In Bosch regte sich ein Hoffnungsschimmer. »Wenn mein Hund mit dem Stein ins Wasser gesprungen wäre, dann wäre er jetzt tot.«
    »Sie waren ein schwerer Brocken, mon cher , widerspenstig und unbeugsam.« Henri hob den Kopf und lauschte. Er runzelte die Stirn. »Wir Menschen handeln meist erst, wenn das bedroht ist, was wir lieben. In Ihrem Fall waren das eben Ihr Hund und Ihr Bild und …« Henri setzte sich ruckartig in seinem Sessel auf. »Haben Sie das gehört?«
    Der Sturm hatte an Stärke zugelegt. Er tobte um das Schloss, heulte in den hohen Schloten und pfiff durch das Labyrinth seiner Gänge. Irgendwo schlug krachend eine Tür zu. Schwarze Wolken wirbelten vor den Fenstern und wurden immer dichter, als wollten sie das Schloss einhüllen und von der Außenwelt abschirmen. Dahinter leuchtete der Abendhimmel in hellem Orange.
    »Da ist ein Fenster offen«, sagte Bosch. Je länger Cesario auf sich warten ließ, umso zuversichtlicher wurde er, und umso nervöser schien Henri zu werden. Cesario schien den Ruf seines Herrn nicht gehört zu haben.
    »Nein.« Henri umklammerte die Löwenköpfe auf den Armlehnen. »Es ist wieder da. Es kommt … es kommt … aus der Kapelle.« Sein Gesicht war blass geworden, seine Brust hob und senkte sich. Wie der weiße Clown im Zirkus starrte er zur Tür, als würde sie sich gleich öffnen und den Blick auf etwas Entsetzliches freigeben.
    »Ich höre nichts.« Bosch stand auf. Das Schloss hatte die Jahrhunderte über dem Falkenstein überdauert, es würde auch diesen Sturm überstehen. Aber Henris Verhalten machte Bosch Angst. »Henri?«
    Der Schlossherr reagierte nicht, sondern bewegte nur stumm die Lippen, als murmelte er eine Beschwörung. Am besten, Bosch ging jetzt einfach, machte die sechs Schritte zur Tür, verließ das Schloss und sah zu, dass er nach Hause kam.
    Da riss Henri das Telefon zu sich heran. Papiere segelten auf den Boden und blieben unbeachtet liegen. »Wo bleibt dieser verdammte Halbaffe? Nie da, wo man ihn braucht.« Er tippte eine Kurzwahl und hielt sich den Hörer ans Ohr. Dann drückte er auf die Gabel des Telefons und wählte erneut. Er zog die Brauen zusammen. »Tot«, flüsterte er.
    Im ersten Augenblick dachte Bosch, Henri meinte Cesario, aber dann verstand er. Der Sturm musste die Freileitung gekappt haben. Jetzt gab

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