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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Bosch.
    Aber er konnte keinen Schritt weitergehen. »Und Henri?«
    Cesario starrte ihn an. »Wo ist er denn?«
    »Im Arbeitszimmer.« Wahrscheinlich saß Henri noch immer in seinem Sessel, ganz der Kapitän, der mit seinem Schiff untergeht. »Er wollte nicht mitkommen.«
    Eine Welle von Explosionen erschütterte das Gebäude. Glasscherben prasselten auf den Vorplatz. Die Hitze hatte die alten Fenster bersten lassen. Der schwere Kronleuchter schwang hin und her, als wollte er sich jeden Augenblick aus seiner Verankerung lösen und von der Decke stürzen. Bosch riss sich aus seiner Erstarrung und rannte aus dem Schloss. Cesario folgte ihm dicht auf den Fersen. Erst vor dem Einfahrtstor, in sicherer Entfernung zu explodierendem Glas und herabfallenden Trümmern, hörte Bosch auf zu laufen und wandte sich um. Cesario blieb schwer atmend neben ihm stehen.
    »Mein Gott, wie konnte das nur passieren?« Erst jetzt wurde Bosch klar, in welcher Gefahr er sich befunden hatte. Die alten Exponate, in Jahrzehnten ausgetrocknet, brannten wie Zunder. Der Sturm, der um die Ecken des Gebäudes fuhr, entfachte wie ein gigantischer Blasebalg das Feuer immer mehr und gab ihm neue Nahrung. Trotzdem, der Brand musste an mehreren Stellen im Schloss zugleich ausgebrochen sein. »Das war doch Brandstiftung, oder?«
    Cesario gab keine Antwort. Mit beiden Armen presste er das Bündel an die Brust, anscheinend das einzige Stück seiner Habseligkeiten, das er in der Eile hatte retten können. Lederschnüre, in die Federn eingeflochten waren, ähnlich dem Halsband, das er immer trug, hingen daraus herab und bewegten sich im Rhythmus seines Atems. Der Feuerschein tauchte sein Gesicht in rotes Licht. Ein Lächeln spielte um seinen Mund. Auf einmal hob er das Kinn und starrte zum Schloss hinüber. Dort hatte das Feuer inzwischen offenbar die Halle erreicht, denn der Türrahmen zeichnete sich als leuchtendes Rechteck in der Dunkelheit ab. Davor war deutlich eine schwarze Gestalt zu sehen, die hin und her schwankte und dann die Stufen hinabtorkelte. Auf dem Vorplatz blieb sie stehen, offensichtlich unschlüssig, wohin sie sich wenden sollte.
    »Henri!« Bosch packte Cesarios Arm. »Gott sei Dank, es ist Henri.« Er drückte die Pranke des Tigers, sodass sich die harten Krallen in seine Handfläche bohrten. Den Schmerz bemerkte er kaum.
    Henri machte ein paar humpelnde Schritte auf sie zu. Dann blieb er stehen. Er kratzte sich am Kopf, als müsste er über ein wissenschaftliches Problem nachdenken.
    »Hierher, Henri, wir sind hier!« Bosch winkte. »Hier rüber!« Der Wind riss ihm die Worte vom Mund.
    Henri hatte ihn wohl trotzdem gehört. Er wandte ihnen das Gesicht zu, aber seine Miene war nicht zu erkennen. Mit dem Feuer im Rücken war er nur ein schwarzer Schattenriss. Da drehte er sich um und hinkte bedächtig zur Tür zurück.
    »Was macht er denn jetzt?« Wollte der Irre noch irgendwas retten? Das Schloss stand inzwischen im Vollbrand, Flammen schlugen aus dem Dach und loderten aus den Turmfenstern. »Cesario, Sie müssen ihn aufhalten!«
    Der junge Mann bewegte sich nicht von der Stelle. Seine schwarzen Augen glitzerten unter halb geschlossenen Lidern. Er öffnete die Arme, mit denen er sich noch immer das Bündel an die Brust gedrückt hatte. Ein Wasserfall schwarzer Haare floss herab, teilte sich, und Bosch starrte in die wie im Schmerz zusammengekniffenen Augen eines kleinen Gesichts. Mit Federn geschmückte Lederschnüre verschlossen wulstige Lippen. Dazwischen steckten Holzpflöcke.
    Bosch starrte auf die Kopftrophäe. »Ein Schrumpfkopf ?« Der Junge musste nach dem Erstbesten gegriffen haben, um zumindest irgendetwas von den Schätzen zu retten. Er packte das Tigerfell fester. »Sind Sie komplett verrückt? Werfen Sie das verdammte Ding weg und retten Sie Henri.«
    Cesario rührte sich nicht.
    Von St.   Gilgen her ertönte eine Feuerwehrsirene. Hilfe war unterwegs, aber bis zu ihrem Eintreffen würde es zu spät sein. So lange konnte Bosch nicht warten. Er ließ das Tigerfell los und rannte über den Vorplatz. »Henri!«
    Henri drehte sich kurz um, dann beschleunigte er seine Schritte. Seine Arme ruderten durch die Luft und gaben seinem ungelenken Gang Balance und Antrieb. Im nächsten Augenblick war er im Schloss verschwunden.
    »Henri!« Bosch hatte schon fast die Eingangsstufen erreicht, als eine Reihe von Explosionen die Halle erschütterte. Etwas krachte klirrend zu Boden. Für einen Moment hing ein Vorhang aus glühenden

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