Totenkult
Glassplittern im Türrahmen. Der Kronleuchter musste herabgefallen und das Glas der Vitrinen geborsten sein. Funken regneten auf den Vorplatz. Die Hitze versengte fast Boschs Gesicht. Er taumelte zurück.
»Henri! Nein!«, schrie er, obwohl er wusste, dass es sinnlos war. Henri war tot, begraben unter dem kristallenen Kronleuchter. Seine Beine wollten unter ihm nachgeben. Tränen liefen über sein Gesicht. Der Rauch reizte wohl seine Augen.
Da tauchte ein Blitz das Schloss in taghelles Licht. Das Dach des Haupthauses war ein einziges Flammenmeer. Noch einmal erstrahlte die Schlossfassade mit ihren Giebeln und Türmchen und steinernen Fabelwesen. Die Wasserspeier beugten sich über die glühenden Regenrinnen. Zwischen ihren spitzen Zähnen wanden sich die gespaltenen Zungen. Hämisch blickten die Teufelsfratzen auf Bosch herab. Auf den Spitzen ihrer Hörner tanzten rote Lichter. Für einen Augenblick vermeinte Bosch, eine kleine Gestalt an einem Turmfenster zu sehen, die sich hinauslehnte und winkte. Dann erschütterte ein mächtiger Donner den ganzen Vorplatz, und das Dach des Haupthauses sank in sich zusammen.
Bosch ließ sich auf die Knie fallen und bedeckte den Kopf mit seinen Armen, während Steine und Ziegel vom Himmel stürzten. Um ihn herum spritzte der Kies unter den Einschlägen. Jemand war über ihm. Eine starke Hand packte ihn und riss ihn hoch.
»Weg hier«, schrie Cesario durch den Lärm der brechenden Balken und berstenden Fenster. Er zerrte Bosch hinter sich her, bis sie unter dem efeuüberwachsenen Torbogen standen, der in den Garten führte.
Im Schutz des Portals, mit mehr Abstand zum brennenden Gebäude, konnte Bosch wieder einen klaren Gedanken fassen. Er hätte Henri nie davon abhalten können, in den sicheren Tod zu gehen. Der letzte Spross des Geschlechts der Mortins lebte für seine Schätze oder ging mit ihnen unter.
Die Blätter des Efeus schimmerten rot im Feuerschein und raschelten im Wind. Es klang, als stünde der Torbogen selbst in Brand. Die Feuerwehrsirene wurde lauter, sie kam jetzt von der Bergstraße. In wenigen Minuten würden die Löschzüge da sein. Bosch zitterte am ganzen Körper. Die Anspannung der letzten Stunden hatte ihn total erschöpft.
»Haben Sie diese Frau noch im Schloss gesehen?« Zwischen Cesarios Brauen stand eine steile Falte. »Vor dem Feuer, meine ich?« In der Hand hielt er immer noch den gräulichen Schrumpfkopf am Haar gepackt. Er sah wie ein Henker aus, der den abgeschlagenen Kopf eines Delinquenten präsentierte.
»Frau? Nein, welche Frau?« Hatte es im Schloss Gespenster gegeben?
»Die mit dem weißen Sportwagen.« Cesarios Blick glitt über den Vorplatz, als suchte er ein parkendes Auto. »Sie ist wohl schon gefahren.« Sein Deutsch hatte einen leichten süddeutschen Akzent.
»Weißer Sportwagen?« Auf einmal war Bosch hellwach. »Frau Aschenbach? War die denn hier?«
»Ich weiß nicht«, sagte Cesario. »Vielleicht.«
Bosch krallte seine Finger in Cesarios Ärmel. »Was heißt ›vielleicht‹? War sie hier oder nicht?«
»Ich meine, vielleicht war es diese Frau Asche… wie?«
»Aschenbach.« Sie war seit gestern verschwunden. Der schwarze Porsche stand vor dem Bauernhaus. Der Fahrersitz ihres weißen Cabrio war immer noch zerschnitten, nie wäre sie damit gefahren. »Haben Sie Frau Aschenbach hier im Schloss gesehen?«
Cesario biss sich auf die Unterlippe.
»Ja oder nein?« Bosch schloss seine Finger zu einer Faust. Cesario versuchte, ihm seinen Arm zu entwinden. Aber Bosch ließ nicht los. »Ich will sofort eine Antwort.«
»Ja«, gab Cesario widerstrebend zu. »Gestern Mittag ist sie hier aufgetaucht. Mit einer Einladungskarte.« Er verzog seinen breiten Mund. »Ich hab noch gedacht, seit wann verschickt der Chef solche Karten. Aber sie war ganz wichtig damit.«
Große Scheinwerfer erhellten das offene Einfahrtstor. Im nächsten Augenblick rasten zwei Feuerwehrzüge auf den Vorplatz. Uniformierte sprangen auf den Kies, Türen und Klappen wurden geöffnet, Schläuche entrollt. Männer rannten in alle Richtungen. Zwei liefen die Treppe zur Schlosstür hinauf. »Herr Mortiehn?«, brüllte ein Mann in Helm und schwerem Schutzanzug.
»Gestern, sagen Sie?«, hakte Bosch nach.
»Ist doch egal.« Cesario deutete auf die Feuerwehrmänner, die im Eiltempo Schläuche auslegten. »Sie ist nach Hause gefahren.«
»Nein, ist sie nicht.« Trotz der Hitze der Feuersbrunst wurde Bosch kalt. Die dumme Person hatte sich entschlossen, die Geschäfte
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