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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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Hollerküchle hätte sie lieber gehabt, aber
der Holunder blühte erst im Juni.) Im Übrigen hatte sie es sich definitiv
anders überlegt. Das, was sie sich inzwischen zusammenreimte, konnte sie nicht
einfach für sich behalten. Sie hätte es lieber einem Pfarrer erzählt, aber der
Krankenhausseelsorger war mit einer Letzten Ölung beschäftigt. Und ewig konnte
sie nicht warten. Denn was geschehen war, rumorte in ihr. Was sie sagen wollte,
musste raus. Rosa hatte eine tsunamiartige Woge von Mitleid gepackt. Mitleid
mit der gesamten Kreatur. Mit den Opfern zuvorderst, die kein Gesicht für sie
hatten. Am meisten mit Petra Clauss, die endlich die Ewige Ruhe verdiente. Die
konnte sie erst finden, wenn der Mörder gestand. Aber auch Roswitha Mayer,
Theresia Bösinger und Loretta Schultis dauerten Rosa. Dann taten ihr umgekehrt
aber auch die Täter leid, überhaupt alle Männer, die missbrauchten und
mordeten. Sie hatte das Gefühl, dass nur ein endloser Redestrom dem Grauen
gewachsen sein könnte, das mit Macht in ihr aufstieg. Als sie sich den
jeweiligen Tathergang nochmals im Detail vorstellte, wusste sie plötzlich, dass
sie nicht schweigen durfte. Das war sie den Lebenden und den Toten schuldig.
    Wie hatten sich die Mädchen gefühlt, als ihnen klar wurde,
dass es kein Entrinnen gab? Waren sie zu einem Kern aus Verzweiflung
geschrumpft? Oder war die Seele explodiert vor Angst? Wie hatte sich ihr Mörder
dabei gefühlt? Ohnmächtig seiner Allmacht ausgeliefert? Rosa betete.
    Als die Streife die Auffahrt zum Kreiskrankenhaus hochsaute [10]  – mit
Martinshorn und Blaulicht – war es wieder das gleiche Team wie drei
Wochen davor im Mordfall Winterhalter: Polizeiobermeisterin Ann-Kathrin Klein
und Polizeimeister Tobias Jäckle schoben eindeutig zu viele Wochenendschichten.
Sie hatte immer noch den blonden Pferdeschwanz und er den Ohrstecker. Aber sie
waren beide überhaupt nicht mehr motiviert. Denn sie brachten grundsätzlich
nichts aus den Leuten heraus, und sobald sich wider Erwarten doch etwas tat,
kam eine übergeordnete Dienststelle und schnappte ihnen den Fall weg.
    Das merkte Rosa sehr schnell, dass mit der Motivation was
nicht stimmte. Sie empfing die beiden blutjungen Polizisten im Café
Sonnenschein. Über dem luftigen Kleid mit dem bunten Blumenmuster und den
goldenen Kordeln trug sie eine beige Strickjacke, Ton in Ton mit den
Fingernägeln, an denen der Lack leider schon absplitterte. Apropos
Winterhalter: Rosa machte keinen Hehl aus der Sache. Sie sagte gleich, dass sie
verwandt sei mit Claudi Roth, die aus gegebenem Anlass im gleichen Krankenhaus
liege, von ihr aber nicht besucht worden sei. Überhaupt habe sie mit den
Machenschaften der Rothen, die sie seit einem Vierteljahrhundert nicht gesehen
habe, nichts zu tun. Es gehe hier um einen völlig anderen, nicht weniger
brisanten Fall. Die rangniederen Streifenbeamten nickten. Nach einigem Zögern,
man war schließlich im Dienst, tranken alle Espresso mit Leitungswasser, den
Rosa spendierte. Sie versuchte penibel, dem Duo die Zusammenhänge zu erklären,
die sie inzwischen herausgefunden zu haben meinte: »Also jetzt mal ganz von
vorn, ja? Der Mordfall Petra Clauss von 1984 ist Ihnen bekannt?«
    »Haben wir in der Ausbildung durchgenommen«, sagte Klein
gelangweilt.
    »Und von Heinrich Pommerenke haben Sie schon mal gehört?«
Rosa fiel es schwer, die Rotzlöffel, die noch grün hinter den Ohren waren, zu
siezen.
    »Der Massenmörder aus dem Wirtschaftswunder. Der
Schwarzwaldkiller. Von dem hat uns der Chef erzählt«, meinte Jäckle und bohrte
in der Nase.
    »Fritz Kern? Großartig. Das habe ich mir gedacht. Sein
Großvater Josef, der frühere Leiter der Schramberger Polizeidienststelle, war
besessen von diesem Mann. Er hat alles über Pommerenke gesammelt, was sich auftreiben
ließ. Ich habe das Material durchgesehen und kann es Ihnen gern zeigen.« Rosas
volle Stimme schwankte etwas stärker als sonst. Jetzt nur die richtigen Wörter
finden. Sie betete, dass sie ihr im geeigneten Moment einfielen. Und gab sich
wirklich alle Mühe, die Geschichte spannend zu erzählen und das Wesentliche zu
verdeutlichen. Rosas Bericht fing damit an, dass Olaf Hahnke aus Stammheim
ausgebrochen war. Dann erzählte sie von seiner Kindheit, den Besuchen in
Schramberg, dem Rumstromern im Staighäusle, seiner Freundschaft zu Timo Fehrle,
die sie ein wenig mehr ausschmückte als nötig, von der Besessenheit seines

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