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Totenmahl - Totenmahl - Death Dance

Titel: Totenmahl - Totenmahl - Death Dance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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damals noch nie geschminkte, elegante Mädchen gesehen, kaum älter als ich. Sie zerzausten mir im Vorbeigehen die Haare und streichelten mir die Wange. Für mich war jede Einzelne von ihnen wie eine Märchenprinzessin. Verkleidest du dich auch so?«
    »Nur für unsere Ballettabende«, sagte ich. »Mein Lieblingstag am Ende des Jahres.«
    »Oben im dritten Stock war es wie eine Stadt für sich. Dort gab es eine Konstruktionsabteilung, wo man gerade einen Palast für eine Opernaufführung baute, und andere bastelten an einem Fantasiebaum aus Styropor. Es gab römische Säulen und Schlossbrüstungen, Berge aus Pappmaché, ägyptische Pyramiden und Hindutempel. Es war wie ein riesiges Spielzimmer. Und überall waren Cops, die hinter jeden der sieben Meter hohen Sperrholzrahmen guckten, die an den Wänden lehnten. Dann kam eine Schneiderei, wo Tausende von Kostümen hergestellt wurden und sich Schneider und Näherinnen über die Schnittmusterbogen beugten. In den Gängen standen lebensgroße Figuren, und an einer Stange - sie nannten sie Spagettiständer - hingen von einem Ende des Flurs zum anderen lauter Militäruniformen und königliche Gewänder. Die Cops durchsuchten alle Ecken und Winkel. Dort hätte man zehn Leichen verstecken können und sie nach Jahren noch immer nicht gefunden. Ich war hin und weg von den Kostümen. Ich berührte die Goldtressen, rieb meine Wange an den verschiedenen Stoffen und fragte mich, ob ich jemals wieder so etwas Seidenes spüren würde.«
    »Was hat Brian getan?«, fragte Mercer.
    »Paps hat getan, was er tun musste. Er fragte die Arbeiter, ob sie etwas gehört hätten, und notierte sich ihre Namen. Es freute ihn zu sehen, dass ich so fasziniert war. Genau darum hatte er mich mitgenommen. Bis ein junger Cop auf ihn zulief und ihm etwas zuflüsterte.«
    Mike hielt inne, und sein Lächeln schwand. Als er weitersprach, war von der schönen Erinnerung in seinem Gesicht keine Spur mehr zu sehen.
    »Ich erinnere mich noch genau an den Gesichtsausdruck meines Vaters. Einen Augenblick lang schien er völlig ratlos zu sein. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Ich glaube, er hätte mich am liebsten dort zurückgelassen, wo ich war, aber er wusste, dass es nicht möglich war. Die Jungs waren alle zu beschäftigt, als dass einer von ihnen auf mich hätte aufpassen können. Also sagte er in seinem strengstenTonfall mit seinem irischen Akzent zu mir: ›Mikey, mein Sohn, folge mir und pass auf, dass du niemandem im Weg herumstehst.‹«
    »Wohin seid ihr gegangen?«, fragte Mercer.
    »Zurück durch das Labyrinth aus Ateliers und Werkstätten, bis wir vor einem Aufzug standen, der uns zum Dach hinaufbrachte. Als wir aus dem Aufzug traten, sah ich Giorgio und Struk. Einer von ihnen rief Brian etwas zu und deutete dabei auf mich; ich sollte bleiben, wo ich war.«
    Mike legte wieder eine Pause ein. »Mein Alter hatte sich geirrt. Das war das Erste, was ich in dem Moment dachte. Bis dahin hatte ich ihm in seinem ganzen Leben keine falsche Eingebung zugetraut, aber vielleicht hatte er jetzt zur Abwechslung Mist gebaut. Ich war völlig durcheinander und so enttäuscht, dass mir fast übel wurde. Ich wusste, dass ihm meine Mutter die Hölle heiß machen würde, weil er mich mitgenommen hatte. Weil er gedacht hatte, die vermisste Musikerin sei noch am Leben und die Met ein schönes Ausflugsziel für einen Zehnjährigen.«
    »Das heißt, man hat dir gesagt, was mit der Musikerin passiert war?«, fragte Mercer.
    »Gesagt? Ab da beachtete mich niemand mehr. Also bin ich auf allen vieren an einem Rohr an der Dachkante entlanggekrochen und habe mich gerade weit genug über den Rand hinausgebeugt, um zu sehen, worauf alle starrten. Sechs Stockwerke unter dem Dach, vier Stockwerke über der Straße lag eine zerschmetterte Leiche auf dem Rücksprung. Ihre taillenlangen blonden Haare waren blutbespritzt, und ihre Beine waren ganz verdreht, sodass sie aussahen wie ein Truthahnknochen, den man beim Thanksgiving-Essen zerlegt hatte.«
    Ich musste sofort an die vermisste Natalja Galinowa denken.
    »Das liegt jetzt über fünfundzwanzig Jahre zurück, und ich sehe es noch genauso deutlich vor mir wie damals«, sagte Mike. »Die erste Leiche vergisst man nie.«

5
    Mord in der Met. Was vor einem Vierteljahrhundert passieren konnte, war auch heutzutage möglich. Ein Ort konnte noch so elegant, ungefährlich und vertraut wirken - kein Winkel der Stadt war immun gegen die Gewalt. Kein Wunder, dass Mike die Polizeispitze

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