Totenmal
ihm vertraut waren, ohne dass er sich an die Namen erinnern konnte. Es war alles zu lange her. Niemand von seinen Bekannten war hier, auch Dittrich und Elena nicht. Zum ersten Mal begriff er, dass die Trennung zwischen Maren und ihm endgültig vollzogen war. Es gab kein Zurück. Ein zögerndes Gefühl der Erleichterung durchströmte seinen Körper.
»Er hat eine Flinte, und manchmal ballert er damit im Hof herum!«, sagte Sophie und sah mit düsterem Blick nach unten. Sie folgte ihrer Mutter und Hans Brassat, die mit den neu angekommenen Gästen ins Haus gingen, mit hasserfülltem Blick.
»Was ist das für eine Flinte?«, fragte Hoyer.
»Ein Jagdgewehr. Er ist in einem Jagdverein. Er hat mich gefragt, ob ich nicht mal mitkommen will zur Jagd! Krass, nicht?«
Hoyer und Malbek tauschten einen Blick. Das mit der »Flinte« würden sie überprüfen.
Malbek sah hinunter in den Hof und überlegte, ob er sich Hans Brassat kurz vorstellen sollte, nur ein paar Sätze austauschen, nichts weiter. So würde er einen Eindruck davon bekommen, was das für ein Typ war. Aber Maren würde danebenstehen und hilflose sprachliche Verrenkungen produzieren, weil sie auf die Situation nicht vorbereitet war. Weil der Kindesvater hier unangemeldet mit einer jungen, hübschen Begleiterin auftauchte, weil er angeblich seiner Tochter dringend einen MP3 -Player vorbeibringen musste. Aus diesem Stoff würde Maren einiges stricken.
Malbek fing Hoyers Blick auf, die ihn die ganze Zeit beobachtet hatte. Sie schüttelte unmerklich den Kopf. Er nickte. Sie hatte seine Gedanken lesen können.
»Wir müssen jetzt wieder nach Kiel«, sagte er zu Sophie, die suchend in den Hof voller Menschen sah. Er legte seinen Arm um ihre Schulter. »Ist keiner von deinen Freunden da?«
»Die hatten alle keinen Bock auf eine Oldie-Party. Aber ich hab jetzt meine Musik. Erst mal werde ich telefonieren. Die meisten wissen noch nicht, dass ich wieder aus dem Urlaub zurück bin.«
Sie gingen die Treppe zur Diele hinunter, drängten sich zwischen plaudernden Gästen mit Häppchen auf Tellerchen und Sektgläsern zur Haustür, vorbei an der offen stehenden Tür zur Küche, und waren erleichtert, als sie unbehelligt das Wohnmobil erreicht hatten. Sie umarmten sich nacheinander. Malbek und Hoyer setzten sich in den Wagen. Maren und Hans Brassat standen am Fenster und sahen ihnen zu. Sie redete aufgeregt auf ihn ein.
»Grüà Mama von mir«, rief er Sophie zu und startete den Motor.
»Aber klar!«, rief sie und winkte ihnen nach.
Im Rückspiegel sah Malbek, wie sie sich die In-ear-Hörer in die Ohren steckte und ins Haus ging.
Auf der Rückfahrt nach Kiel schwiegen sie, bis sie wieder am Campingplatz vorbeifuhren.
»Wieso haben Sie hier bloà gewohnt?«, fragte Hoyer.
»Mein Zweitwohnsitz.«
»Und wo ist der erste?«
»Ãberall und nirgends. Nein, ich habe in Moerksgaard ein altes Gutshaus. Geerbt. Leer stehend.«
Sie ging nicht auf seine Antwort ein. »Wieso sind Sie gerade auf diesen Platz gezogen?«
»Gefällt Ihnen dieses schöne Fleckchen Erde etwa nicht?«
»Ihnen etwa? Diese schrottigen Wohnwagen, die man schon von der StraÃe aus sieht!«
»Ich hab da einen ruhigen Stellplatz erwischt. Es ist so was wie ein Obdachlosenasyl. Die Touris bleiben hier meist nur eine Nacht, weil es praktisch keinen Strand gibt. Nur Steine.«
»Warum haben Sie denn nicht länger nach einem besseren Platz gesucht?«, fragte Hoyer.
»Sie haben bestimmt ein âºSehr Gutâ¹ in âºVernehmungâ¹ während der Ausbildung gehabt?«
»Hab ich nicht. Es war nur âºgutâ¹. Und wenn Sie nicht antworten wollen, dann akzeptier ich das.«
Schweigen. Er schaltete höher.
»Ich mach mir so meine Gedanken«, sagte sie. »Ich meine einfach ⦠um meinen Chef, ist das so ungewöhnlich?«
»Na gut. Ich habe nicht lange gesucht, weil ich von meinem eigenem Grundstück von einem Tag auf den anderen wegwollte.«
Sie sah ihn wieder fragend an und drehte an einem ihrer Löckchen im Nacken.
»Weil auf dem Nachbargrundstück meine Ex wohnte«, fuhr er fort. »In einer Reetdachkate. Ich hatte eines Tages entdeckt, dass sie Kokain nahm. Und einen Dealer hatte. Nicht nur für das Kokain. Mir hat sie erzählt, dass alles nur Recherche sei. Sie war Journalistin. Das ist
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