Totenmal
sagte er sich und steckte die Münzen in den Zeitautomaten. Er lieà sich ein paar Minuten durch die StraÃen treiben und fand sich auf dem Altstädter Markt wieder. Er ging in ein Restaurant, das ausweislich der drauÃen aufgehängten Tageskarte Hähnchenkeule nach Holsteiner Art mit Pellkartoffen anbot.
DrauÃen waren Tische, und man hatte groÃe Sonnenschirme aufgestellt, obwohl die Sonne die dünne Hochnebeldecke immer noch nicht durchdrungen hatte. Aber es gab nur ein paar freie Plätze in ziemlich gedrängter und lautstarker Touristennachbarschaft. Drinnen war es ruhig. Im Obergeschoss fühlte er sich von einem Platz an einem der kleinen geöffneten Fenster mit Blick auf den Markt angezogen.
Als er am Fenster saÃ, fiel es ihm ein. Hier hatte er mit Maren gesessen, als Sophie noch nicht geboren war. Maren war im siebten Monat gewesen. Sie hatten in Rendsburg Kindersachen gekauft. Daran konnte er sich noch genau erinnern. An ihre Gespräche an diesem Tisch zunächst nicht. Und warum sie in Rendsburg waren und nicht in Schleswig in der EinkaufsstraÃe, das wusste er auch nicht mehr.
In der Ruhe, die ihn hier umgab, fühlte er sich gehetzt. Sie hatten noch keine heiÃe Spur, und sein Gefühl, dass es sich aus irgendeinem Grund um einen Wiederholungstäter handelte, wurde stärker. Die Machart mit dem Kinderreim war es. Der Täter hatte einen gewissen zielgerichteten Aufwand getrieben. Auch die Zahl, die nach Malbeks Meinung eine ganz besondere Bedeutung hatte. Aber darüber mochte keiner diskutieren, Vehrs und Hoyer, Schackhaven, Lüthje, Brotmannn, sie gingen irgendwie darüber hinweg, indem sie routinemäÃig Ermittlungsschritte abhakten oder alles in Frage stellten, um sich nicht festlegen zu müssen. Was er ja auch tat. Vielleicht diskutierten Vehrs und Hoyer nur in seiner Abwesenheit darüber, um keinen nervösen Eindruck zu machen. Und nervös war Vehrs auch schon genug. Aber er schien sich in seiner Situation zurechtzufinden. Jedenfalls gab es keine Katastrophenmeldungen von Hoyer, die ihn, unausgesprochen, natürlich beobachtete. Hoffentlich blieb es so.
Er sagte es niemandem, und für sich selbst dachte er es nur ganz »vorsichtig«, damit er darauf vorbereitet war. Er glaubte nämlich fest daran, dass der nächste Mord des Nagelmörders bevorstand.
Malbek war, als sähe ihm der Täter über die Schulter und beobachtete jeden seiner Schritte. Vielleicht saà er ja gerade auf dem Altstädter Markt unter einem der Sonnenschirme und hatte ihn hineingehen sehen. Natürlich war das Blödsinn. Aber er musste sich damit auseinandersetzen, dass er unter dieser Zwangsvorstellung litt.
Das konnte sich ein Kriminalhauptkommissar nicht erlauben.
Als Vehrs vorhin am Telefon den »Serienmörder« erwähnte, war ihm das alles bewusst geworden. Er hätte in diesem Moment gern darüber gesprochen, aber Vehrs war im Augenblick sicher nicht der richtige Gesprächspartner dafür. Lüthje schon eher. Und Hoyer auch nicht. Sie dachte sowieso schon zu viel über ihren Chef nach. Das hatten Gespräche Malbek deutlich signalisiert. Stopp, sagte eine innere Stimme. Die andere Stimme sagte, tu es. Was auch immer.
Maren hatte ihm, kurz nachdem sie sich kennengelernt und beide innerlich zögernd zugegeben hatten, dass sie sich ineinander verliebt hatten, gesagt: »Du bist ein Meister des Verdrängens.«
Und jetzt erinnerte er sich, dass sie es ihm an diesem Tisch gesagt hatte. Sie hatte diese Bemerkung nicht weiter erklärt, er hatte nie nachgefragt. Er hatte keine Lust mehr, zu dem Thema etwas von ihr zu hören. Und das, obwohl sie ineinander verliebt gewesen waren. Das Ganze war seiner Meinung nach ein Zustand des absurden Wachkomas, in dem man meinte, sich füreinander zu interessieren. Aber ihre Meinung hatte ihn interessiert. Das hätte ihn eigentlich wecken müssen. Wahrscheinlich hatte er damals auch schon die ganze Zeit aus dem Fenster auf die Menschen auf dem Altstädter Markt gesehen.
Eine Kellnerin kam und bestätigte ihm auf seine hoffnungsvolle Frage, dass die Hähnchenkeule auf der Tageskarte noch da war. Er bestellte dazu eine Apfelschorle.
Malbek überlegte einen Moment, ob er jetzt versuchen sollte, Dr. Brotmann anzurufen, aber dann müsste er nach drauÃen gehen, um den zwei jungen Paaren am Tisch vor ihm nicht den Appetit zu verderben.
Sie unterhielten sich
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