Totenmal
über einen Bericht in der Zeitung, die vor ihnen lag, während sie auf das bestellte Essen warteten. Die Kellnerin kam und servierte vier groÃe Teller. Die Zeitung landete achtlos auf einem Nebentisch.
Malbek erhob sich und griff danach.
»Darf ich?«, fragte er zu den beiden Paaren gewandt, die sich zufrieden auf ihre groÃen Portionen gestürzt hatten. Sie nickten kauend und begannen, über das nächste Wochenende zu diskutieren.
Malbek schlug die Zeitung auf und strich sie auf seinem Tisch glatt.
Es war das gleiche Massenblatt, aus dem nach Meinung des Landeskriminalamtes die Buchstaben aus den Innenseiten ausgeschnitten waren. Der Artikel oben auf der zweiten Seite zeigte ein Foto des Tatortes. Es war offensichtlich mit dem schlechten Blitz eines Handys aufgenommen. Es war unscharf, man erkannte keine Details, aber genug, dass es von dieser Zeitung veröffentlicht worden war. Der Fotograf musste sich an den Kühlschrank gelehnt und die Kamera über seinen Kopf gehoben haben, um die Perspektive zu bekommen. Die gekrümmte Hand mit dem Nagel und der Kopf des Toten, die halb geschlossenen Augen, das herunterlaufende Blut am Unterschrank, das war im grellen Weià des Blitzes zu erkennen, der Rest blieb im Dunkeln oder war völlig überbelichtet, wie zum Beispiel der Zettel mit dem Spruch. Wie eine verwischte Einstellung in einem alten Schwarz-WeiÃ-Film. Nach Malbeks Eindruck war das Foto echt. Die Details stimmten mit dem in seinem Gedächtnis gespeicherten Bild überein.
Ãberschrift: »Brutaler Mord eines entsprungenen Irren?«. Darunter hatte man noch eine Luftbildaufnahme des Gebäudes der Forensischen Psychiatrie in Schleswig eingefügt. Deutlich zu erkennen die doppelte Sicherung mit Mauern und Stacheldraht. Tatsächlich war der Bau wie ein Hochsicherheitstrakt ausgestattet. Noch nie hatte ein Insasse von dort fliehen können. Und wenn, hätte er jede Menge Fingerabdrücke am Tatort hinterlassen. Bisher hatte die Spurensicherung jedoch im Wohnwagen keinen Papillarleistenabdruck gefunden, den die Datenbank einem bekannten Abdruck hätte zuordnen können.
Drei Spalten hatte der Bericht, mit dem gekürzten Inhalt der Meldung in den Eckernförder Nachrichten. Brutal ⦠Kranker Mörder ⦠Gewaltorgie. Und ein paar Zeilen, in denen gefragt wurde, wie groà die Sicherung der »Teufelspsychiatrie« denn sein muss, um solche Blutorgien zu verhindern. »Wird am verkehrten Ende gespart?«
Kein Wort über den Fotografen des Tatorts.
Gestern war die Fotografie wohl in der Redaktion gelandet, und man hatte sich beeilt, um sie noch in der Ausgabe für den kommenden Tag mit einem »informativen Bericht« zu haben. Wie viel hatten sie dem Fotografen gezahlt? Malbek bezweifelte, dass Ollie das Foto gemacht hatte. Das wäre über seine Fähigkeiten gegangen, allein die Kontaktaufnahme mit der Zeitung. Er hätte davon etwas in der Vernehmung verraten.
War es der Täter?
Die Kellnerin stand plötzlich neben seinem Tisch und sah entsetzt auf die aufgeschlagene Zeitung. Der Teller und die Apfelschorle in ihren Händen zitterten einen Moment. Malbek nahm die Zeitung vom Tisch und lieà die Kellnerin servieren.
Die Hähnchenkeule und die Pellkartoffeln waren frisch zubereitet und aromatisch. Er wurde etwas ruhiger und sah beim Essen immer wieder aus dem Fenster und versuchte daran zu denken, dass er spätestens heute Abend nach Laboe »umziehen« wollte.
Nach dem Essen entschloss sich Malbek, zur Marienkirche zu gehen, die sich jenseits des Altstädter Marktes, vorbei am alten Rathaus, in einem Rund alter Häuser und Bäume verbarg, um dort seine Telefonate zu führen. In der Nähe von Kirchen war es zu dieser Jahreszeit meist menschenleer. Weil es den Menschen im Sommer meist gut ging.
Die Sonne hatte ihren Kampf gegen den Hochnebel gewonnen, und es wurde richtig warm. Sein Handy signalisierte mit einem Gitarrenriff eine SMS . Antwort von Sophie. Endlich.
»Ich ziehe aus bei Mama. Bin im Stress. Suche mir gerade ein Zimmer in einer WG . Melde mich bald wieder.«
Irgendwie hatte er es geahnt. Nicht nur vorgestern in Kropp, sondern schon seit Monaten. Sophie war Anfang des Jahres achtzehn geworden. Vielleicht hatte Maren versucht, es zu verhindern, indem sie das Haus renovierte. Und das Gegenteil erreicht.
Er sollte also abwarten, meinte Sophie. Aber da sie ihren Vater kannte,
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