Totenmal
Seht genau hin, dann könnt ihr erkennen, warum ich es getan habe!
Und der Kinderreim? Und die Zahl? Das blieb für Malbek ein Rätsel. Weil hier für ihn die Schwelle zum Wahnsinn nahe, wenn nicht sogar überschritten war. Aber er hoffte, dass die Entdeckung des auslösenden Ereignisses auch diese Fragen beantworten würde.
Inzwischen war die Sonne untergegangen. Er zog die Vorhänge zu. Als er Licht machen wollte, hörte er Mutter und Tochter kommen. Aus den Geräuschen konnte er schlieÃen, dass sie ihre Fahrräder an den Grundstückszaun festschlossen. Sie tuschelten. Dann fiel die Haustür ins Schloss. Ein paar Sekunden später sah er hinter den zwei Fenstern im ersten Stock das Licht angehen, nur ein paar Meter über ihm.
Nachts weckte ihn das Handy aus dem Tiefschlaf. Es dauerte, bis er begriff, dass es kein Traum war. Er ertastete das Handy auf der Ablage neben seinem Bett. Es war fünf vor zwei.
»Malbek â¦Â«, meldete er sich schläfrig.
»Hier ist dein Kollege Lüthje! Bist du schon wach?«
»Nein â¦Â«
»Dann setz dich bitte kerzengerade im Bett hin!«
Malbek hatte es schon bei Lüthjes erstem Satz getan.
»Fertig?«, fragte Lüthje.
»Ja doch, nu red schon!«
»Er ist in mein Jagdrevier gewechselt«, sagte Lüthje.
»Wer?«
»Der Nagelmörder.«
19
Im Laufe der Nacht war aus Nordwest Wind aufgekommen. Das Tauwerk der Segelboote schlug klatschend gegen die Masten. Sie standen auf dem Bootssteg und sahen auf den Tatort hinunter. Ein Scheinwerfermast warf sein kaltes Licht auf die Szenerie.
Die Leiche lag am Kajütenniedergang eines einmastigen Segelboots mit Seereling und Badeleiter am Heck.
»Schwierige Arbeitsbedingungen«, sagte Kriminalhauptkommissar Prebling von der Spurensicherung und deutete auf den schmalen Kajüteneingang des Bootes. Er hatte bereits seine Berufskleidung an: weiÃen Overall mit Kapuze, »FuÃtüten«, Haarhaube, Einmalhandschuhe. »Die Kajüte hat nicht viel mehr als Sitzhöhe. Und der Kopf der Leiche liegt auf der letzten Stufe des Niedergangs. Wahrscheinlich hat der Täter dem Opfer einen Schlag versetzt, als es die Treppe hinunterging. Wir können da unten nur zu zweit arbeiten und treten uns ständig gegenseitig auf FüÃe und Hände.« Einer von Preblings Mitarbeitern streckte seine behandschuhte Hand winkend aus dem Kajüteingang, ohne dass man den Rest seines Körpers zu sehen bekam.
»Sie meinen, der Täter ist hinter dem Opfer die Treppe hinuntergegangen?«, fragte Malbek.
»So sieht das Spurenbild aus.«
»Das Opfer muss gewusst haben, dass jemand an Bord war, es muss ihn gekannt haben«, sagte Lüthje. »Denn wenn jemand unverhofft an Bord springt, hätte sich das Opfer umgedreht, und es hätte Kampfspuren gegeben. Aber das Spurenbild ähnelt grundsätzlich dem Mord auf dem Campingplatz. Das Opfer hat den Täter gekannt und ihn deshalb an Bord gelassen. Ich hab Dr. Brotmann auf den Anrufbeantworter gesprochen. Bin gespannt, wann er sich meldet.«
»Oder sie sind zusammen an Bord gegangen. Das Opfer zuerst, der Täter hinter ihm«, sagte Malbek.
Schon von der B  76 aus hatte er den Tatort in der nächtlichen Dunkelheit als gleiÃenden Lichtfleck im Seglerhafen gesehen, der gespenstische Schatten auf den in unmittelbarer Nähe aufragenden Wikingturm warf. Auf dem Parkplatz hatten beim Eintreffen der Polizei zwei Autos gestanden. Ein groÃer BMW , dessen Fahrertür gerade von der Spurensicherung geöffnet wurde. Ungefähr fünfzig Meter weiter, in der dunkelsten Ecke des Parkplatzes, stand ein neuer Golf.
Auf dem Bootsdeck war ein Sichtschutz über Heck und Kajüte gespannt. Trotzdem war der Anblick des nächtlich erleuchteten Seglerhafens für einige Bewohner des Wikingturms interessant genug, um sich im Schlafanzug oder Morgenmantel die Nasen an der Scheibe platt zu drücken.
Lüthje hatte sich erst vergewissern wollen, ob es sich möglicherweise um ein Opfer des Nagelmörders handelte, und dann Malbek angerufen.
»Hier!« Prebling hielt Malbek einen Plastikbeutel für Beweisstücke hin. Malbek nahm ihn und sah, dass er ein Stück Papier enthielt. Er strich ihn glatt, so wie den Zettel, den Prebling ihm im Wohnwagen von Peter Arens gegeben hatte, damit er als Erster die Botschaft des Täters las. Diesmal war es wohl
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