Totenmesse
etwas sehr Spezifisches, nämlich auf die Barockmalerei. âºStaffageâ¹ sind kleinere Nebenfiguren in einem Landschaftsbild, die die künstlerische Darstellung beleben sollen.
Am Ende des 19. Jahrhundertswurde das Wort âºStaffagefigurâ¹ von âºStaffageâ¹ losgelöst und in übertragener Bedeutung für eine Person benutzt, die â in welchem Zusammenhang auch immer â eine untergeordnete Rolle spielt.
Das Wort hatte sich in ihr festgesetzt, sie hatte das Gefühl, zur Existenz einer Staffagefigur verdammt zu sein.
Aber Cilla Hjelm hatte es satt, sie hatte es gründlich satt, eine Nebenfigur zu sein, untergeordnet, ohne eigene Persönlichkeit.
Es hatte irgendwann in der Zeit begonnen, als die Kinder geboren wurden, Danne und Tova, vor fast zwanzig Jahren. Eine Art von Selbstverleugnung. Alle auÃer ihr im Mittelpunkt. Als ihr Mann Paul bei der Polizei Karriere machte und sie versuchte, verlorenen Boden zurückzugewinnen und der Mensch zu werden, der sie im Innersten war, musste etwas schiefgelaufen sein. Sie hatte versucht, wieder die zu werden, die sie vor zwanzig Jahren gewesen war, und das war natürlich unmöglich. Es kam zu einem Konflikt, dessen Ergebnis eine groÃe existenzielle Verwirrung war.
Eines wusste sie auf jeden Fall: Von jetzt an würden sie selbst und ihre Wünsche im Mittelpunkt stehen. Nur was waren ihre Wünsche? Die Entfremdung zwischen ihr und Paul wurde immer gröÃer. Er war so aufdringlich in seinemWunsch nach Intimität, sie fühlte sich bedrängt, er lieà ihr keinen Raum zum Atmen. SchlieÃlich bekam sie keine Luft mehr. Kontakte zu anderen Menschen wurden wichtiger als der zum Ehemann, und um etwas rekonstruieren zu können, musste sie alles verwerfen, was irgendwie Pauls Sphäre zugerechnet werden konnte. Und die Sexualität gehörte zu seiner Sphäre. Sie musste sich verweigern, um sich nicht ganz zu verlieren.
Paul Hjelm kam mit dem ihm aufgezwungenen Zölibat nicht zurecht. Plötzlich war er einfach verschwunden, hatte seine Siebensachen gepackt und war gegangen.
In der Tiefe ihres Herzens fühlte sie sich verraten.
Fast ein Jahr war inzwischen vergangen.
Ganz schuldlos war sie selbst wohl auch nicht.
Das war eine neue und nicht ungeteilt angenehme Einsicht.
Es war einfacher, wenn er an allem schuld war.
Cilla Hjelm hatte eine neue Arbeit gefunden und war jetzt Abteilungsleiterin in einer Klinik für plastische Chirurgie im Sophiaheim im Stockholmer Stadtteil Ãstermalm. Ein ruhigerer Job â denn war sie nicht einfach ausgebrannt gewesen?
Sie hatte die Ambulanz und die ständigen Ãberstunden hinter sich gelassen, ihr Lohn war höher, das Tempo ruhiger, die Stimmung angenehmer â aber war sie zuvor wenigstens ein kleines bisschen Florence Nightingale gewesen, mit einem hauchzarten Anstrich von Idealismus, so war sie jetzt eine krasse Realistin.
Entwicklung? Na ja. Zumindest Ãberleben.
Es war Donnerstagvormittag, und sie schlenderte auf dem Weg zur Arbeit die Skeppargatan hinauf. Es war einer ihrer beiden späten Arbeitstage; sie arbeitete Teilzeit und kam gut damit zurecht. Auf dem Weg vom U-Bahn-Aufgang am Ãstermalmstorg zum Sophiaheim am Valhallavägen wollte sie noch in die Bank und die Reste einiger abstürzender Fonds retten. Das Reihenhaus in Norsborg war bezahlt,ihre Lebenshaltungskosten waren niedrig. Sie hatte es nicht über sich gebracht, den Kontakt zum anderen Geschlecht wieder herzustellen. Sie fragte sich, ob sie je wieder Lust auf Sex haben würde.
Aber sie hatte ja Tova. Zumindest manchmal. Und morgen hatte sie Geburtstag, die Kleine. Achtzehn. Volljährig. Die meisten Teenagerkrisen waren überstanden. Cilla drückte das blaue Paket an sich. Gewagt, einer Achtzehnjährigen ein Kleid zu kaufen. Ein leichtes, dünnes Sommerkleid. Tova entwickelte sich zu einer richtig gut aussehenden Frau, das musste die Mutter einräumen, und gerade deshalb mussten die Ambitionen, ständig in die Welt hinauszuziehen, gebremst werden. Da war Paul wie üblich viel zu tolerant.
Paul, ja, Paul â¦
Hätten wir unsere Verschiedenheiten nicht für uns statt gegen uns sprechen lassen können? All die bitteren Worte. Die verbalen Misshandlungen. Seine wohlgesetzten Bosheiten.
Und all ihre Neins â¦Â Nein als Lösung für alles. Nein als das Passwort der Identität.
Sie bog aus der
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