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Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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zu binden, und so war auch er verlassen worden.
    Das Gesicht, das er vor sich sehen wollte, war Christinas.
    Das Gesicht, welches er sah, war Cillas.
    Er würde es nie begreifen.
    Er verschränkte die Hände im Nacken, lehnte sich zurück und ließ die Kraft des Requiems den Raum erfüllen.
    Das überirdische Dröhnen der Totenmesse.
    Und mittendrin eine ganz kleine Störung.
    Er hörte sie erst im Nachhinein, als hätte etwas Unbekanntes das vertraute Ganzheitserlebnis verändert. Zwei kleine Piepsignale. Er öffnete die oberste linke Schreibtischschublade. Da lag das Diensthandy. Normalerweise rief ihn dort nur Niklas Grundström an.
    Er hatte eine SMS bekommen. Und nicht von Grundström, sondern von einer unbekannten Nummer. Er klickte die Nachricht aufs Display. Mozarts mächtiger Klangteppich hallte im Hintergrund.
    Die Totenmesse.
    Auf dem Display stand: ›Hilfe Geisel Cilla‹.
    Er blickte auf die Nachricht. Es dauerte einen Moment, bis er sie verstand.
    Dann brach seine Vergangenheit über ihm zusammen und begrub ihn.

7
    Das also ist die Türkei, dachte der große Mann und schaute über den etwa fünf Kilometer breiten Sund. Und hier ist Griechenland.
    Sie sind sich eigentlich ziemlich ähnlich.
    Er drehte sich um und blickte auf eine verstockte Russin, die in zehn Meter Entfernung mit über der Brust gekreuzten Armen stand, den Rücken ihm zugewandt. Unendlich ablehnend, seiner Kenntnis der Körpersprache zufolge.
    Griechenland und die Türkei sind sich viel ähnlicher als wir beide, dachte Gunnar Nyberg.
    Vielleicht kommen wir deshalb besser miteinander zurecht.
    Obwohl sie so ein Dickkopf ist.
    Es war ein wunderbarer Frühlingstag in der östlichen Ägäis. Die milden Sonnenstrahlen lockten das Grün aus den Steinen, und das Land glich überhaupt nicht dem, was er bisher von Griechenland gesehen hatte. Nichts Karges, Verbranntes – nur reines, leuchtendes, fruchtbares Grün. Und die Blumen, die sich in endlosen Feldern die Hänge hinunter erstreckten.
    Die griechischen Inseln im Frühling waren das Paradies.
    Hier fühlte er sich zu Hause.
    Obwohl er von dieser Insel noch nicht einmal etwas gehört hatte. Und doch war es eine der größten. Es war eine Notlüge, die einzugestehen er ohne Gewissensbisse unterließ. Jetzt kam es nur darauf an, den Dickkopf zu überreden.
    Â»Scheißinsel«, sagte Ludmila Lundkvist und warf ihrem Draufgänger einen bitterbösen Blick zu.
    Sie war Dozentin für slawische Sprachen an der UniStockholm und hatte zurzeit ein Forschungsfreisemester. Ihre sporadischen Forschungsfreisemester passten ausgezeichnet zur Frühpensionierung eines Bullen. Wenn sie nur begreifen wollte, dass dies hier besser war als Venetien.
    Â»Nein«, sagte Gunnar Nyberg. »Sie heißt Chios, nicht Scheißinsel. Soll ich dir etwas darüber vorlesen?«
    Â»Nur das nicht«, entgegnete Ludmila Lundkvist.
    Nyberg hob das Buch, das er in der Hand hielt, und las mit dröhnendem Kirchenchorbass:
    Â»â€ºDie Insel Chios in der östlichen Ägäis erlebte im Revolutionsfrühjahr achtzehnhundertzweiundzwanzig ein furchtbares Blutbad. Das Ereignis ist dem europäischen Bewusstsein relativ geläufig, vor allem wegen seiner gesamteuropäischen Verwicklungen.‹«
    Â»Halt die Schnatter«, sagte Ludmila.
    Die Schnatter? dachte Gunnar. Manchmal läuft ihr Schwedisch Amok. Dann ist sie ganz besonders bezaubernd.
    Â»Komm, setz dich einen Moment, solange wir warten«, sagte er und ließ sich zwanzig Meter oberhalb der türkisfarbenen Bucht auf den Felshang nieder.
    Â»Nein«, sagte sie, und er dachte an Krieg. Er dachte daran, wie diese blühenden Hügel in einem Frühling vor einhunderteinundachtzig Jahren von Blut getränkt und die Menschen hingeschlachtet worden waren.
    Gunnar Nyberg und Ludmila Lundkvist hatten Schweden verlassen und den Weg über Paris genommen; sie fanden beide, dass es für sie als nicht mehr ganz blutjunge Liebende an der Zeit war. Früher oder später mussten alle Liebenden nach Paris fahren. Und so waren sie im Louvre gelandet – auch das für Liebende selbstverständlich. Doch das Bild, das seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte und ihn auf eine Art und Weise fasziniert hatte, wie es ihm noch nie geschehen war, stellte das Gegenteil von Liebe dar. Es war das in dumpfen Gelbtönen gehaltene

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