Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch

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eigentümlichen Gesichtsausdruck. »Nun, wenn eine Polizistin aus Deutschland um die halbe Welt in ein Land fliegt, das kurz vor einem Bürgerkrieg steht, und einen alten Arzt mitten im Busch aufsuchen will, dann ist es wohl wichtig.«
    Alex nickte. »Das ist es.«
    »Gehen wir rein. Dort ist es angenehmer.«
    Johannsen deutete auf eine Hütte, die mit einer buntbemalten Tür verschlossen war. Erst bei näherem Hinsehen erkannte Alex, dass es sich bei den Mustern um Grimassen handelte. Schreckliche Chimären mit langen Zähnen und weit aufgerissenen Mäulern. Johannsen schien ihr Befremden zu registrieren und schmunzelte, während er die Tür öffnete.
    »In Europa«, erklärte er, »schreiben die Heiligen Drei Könige zu dieser Jahreszeit ihren Segen an die Pforten, nicht?«
    »Ja.« Alex schlang die Haare zu einem Knoten zusammen. Sie fühlten sich klamm an.
    »Das hier«, der Arzt deutete mit einem Kopfnicken zur Tür, »ist nichts anderes. Es soll böse Geister abschrecken.«
    »Wirkt es?«
    Johannsen zögerte einen Augenblick. »Nicht zuverlässig.«
    Die angenehm kühle Hütte war spartanisch eingerichtet. Einige Tücher hingen an den Wänden, deren Muster Alex im diffusen Dunkel nicht genau erkennen konnte. Der Boden des kreisrunden Baus war mit Strohmatten und Kissen bedeckt. Auf einem davon ließ sich der Arzt nieder und lud M’Obele und Alex ein, es ihm gleichzutun.
    Johannsen schenkte drei Gläser Wasser ein. Alex nahm ihres dankend entgegen und leerte es in einem Zug. Mit der freien Hand öffnete sie den Schnappverschluss ihrer Umhängetasche und förderte daraus M’Obeles Akte sowie eine weitere mit Kopien der Berichte aus Lemfeld, ihr Notizbuch und eine kleine Digitalkamera nebst einem MP3-Rekorder zutage, den sie griffbereit neben sich legte. Johannsen fragte, ob es ihr angenehmer wäre, wenn sie sich auf Englisch weiter unterhielten.
    Dankbar stimmte sie zu und fuhr auf Englisch fort: »Dr. Johannsen, ich bin mir nicht sicher, wie weit Sie im Bilde über die Gründe meines Besuches sind, aber …«
    Der Arzt fiel ihr ins Wort. »Ich bin darüber informiert, dass Sie Fragen zu den Todesfällen der beiden Schwestern unserer kleinen Klinik haben. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern.«
    »Nach meiner Kenntnis haben Sie die Obduktion ausgeführt und die Totenscheine ausgefüllt. Mich würde interessieren«, sagte Alex und drückte die Aufnahmetaste am Digitalrekorder, »was genau Sie damals an den Tatorten vorgefunden haben. Ich kenne zwar die Daten, die mir von der Kriminalpolizei aus Abidjan zur Verfügung gestellt worden sind. Aber ich habe keinen Obduktionsbericht gesehen.«
    »Die Umstände waren eindeutig. Es wurde kein Protokoll von mir erbeten.«
    »Eindeutig für den Angriff einer Großkatze?«
    Johannsen und M’Obele wechselten einen Blick. Dann räusperte sich der Arzt, schenkte Alex wortlos noch etwas Wasser ein und begann zu erzählen.
    »Ich bin vor mehr als fünfundzwanzig Jahren an diese Klinik gekommen – zunächst nur während eines Urlaubs mit der Organisation Ärzte ohne Grenzen, mit der wir nach wie vor eng zusammenarbeiten. Ohne die Unterstützung von Kollegen aus Europa wäre unsere Arbeit hier an der Elfenbeinküste gar nicht möglich, und ebenso eng kooperieren wir mit der evangelischen Kirche und Stiftungen, die die Arbeit im Waisenhaus finanzieren und pädagogisch ausgestalten.«
    Ärzte ohne Grenzen, dachte Alex. Kirchliche Stiftungen.
    »Wir haben in den vergangenen Jahren im Rahmen eines solchen Hilfsprojekts mit der Unterstützung eines jungen Arztes sogar eine eigene Radiostation aufbauen können, die jetzt von Einheimischen betrieben wird. Die beiden Krankenschwestern sind wie so viele für ein praktisches Jahr über eine Stiftung zu uns gestoßen. Sie waren auf meiner Station beschäftigt.« Johannsen machte eine Pause und rang nach Worten. »Es war vor etwa sechs Jahren. Ich war in beiden Fällen restlos entsetzt, als ich an die Fundorte der Leichen gerufen worden war und begriff, wer die Opfer waren. Ich konnte es kaum fassen – zwei solcher grauenhaften Angriffe einer Raubkatze wie aus heiterem Himmel nacheinander in so kurzer Zeit …«
    »Also nur scheinbar aus heiterem Himmel?«
    Johannsen wischte sich über den Mund.
    »Und beide Male Angriffe auf Krankenschwestern. Kaum vorstellbar, dass eine Raubkatze nach Berufsgruppen auswählt, nicht?«
    Johannsen schwieg.
    »Vielleicht waren es gar keine Raubtierangriffe?«
    Johannsen sagte nichts.
    »Die