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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Leben gekommen waren. Auf den Fotos in M’Obeles Mappe wirkten die Körper, als sei in den Frauen eine Handgranate explodiert. Die Bilder unterschieden sich damit nicht wesentlich von denen der Lemfelder Opfer. Der begutachtende Arzt hatte zwar Raubtierangriffe auf den Totenscheinen eingetragen, aber Alex glaubte nicht daran – und M’Obeles Reaktion bestärkte sie darin.
    »Wenn ein Leopard seine Beute zerfleischt, sieht das auch so aus«, erklärte M’Obele, während der Hubschrauber eine Kurve beschrieb und an Höhe gewann. Alex fasste nach der Halteschlaufe. »Die Großkatzen greifen Menschen nur selten an. Was man nicht von denen behaupten kann, die sich für Leoparden halten.«
    Alex runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das? Und von welchen anderen Fällen reden Sie?«
    Statt zu antworten, hob M’Obele eine Augenbraue und blickte ins Cockpit. Er zeigte auf seine Golduhr. Der Pilot machte eine Geste, die Alex nicht interpretieren konnte. Aber sie schien M’Obele zufriedenzustellen.
    »Wissen Sie, wie ein Leopard jagt?«, fragte er.
    Alex verneinte.
    »Die Katzen sind Einzelgänger und schlagen meist in der Nacht zu. Sie versuchen, unbemerkt so nah wie möglich an das Opfer heranzukommen, das sie sich vorher ausgesucht haben. Sie sind sehr vorsichtig und Meister der Tarnung. Manchmal lauern sie auf Bäumen und lassen stundenlang scheinbar desinteressiert eine ganze Herde unter sich vorbeiziehen. Aber wenn das Tier vorbeikommt, das sie im Blick haben, klettern sie unbemerkt vom Baum – und töten es, ohne dass die Herde damit rechnet.« M’Obele machte eine Pause. »Menschen fressende Leoparden«, erklärte er dann, »sind jedoch meist krank, schwach – oder wahnsinnig.«
    »Das gilt für den Mörder, den ich suche, ebenfalls. Und was Sie über die Jagd sagen, kommt mir sehr bekannt vor.«
    M’Obele öffnete den Mund, entschloss sich dann jedoch, lieber weiter auf seinem Kaugummi herumzukauen.
    »Wir landen gleich«, sagte er schließlich. »Ich möchte, dass Sie Dr. Johannsen kennenlernen. Er hat das Hospital jahrelang geleitet und die Leichen der beiden Frauen untersucht. Johannsen stammt aus Dänemark. Er ist jetzt im Ruhestand, lebt aber weiter hier an der Côte d’Ivoire, weil er sich aus irgendwelchen Gründen in dieses beschissene Land verliebt hat.« M’Obele lachte laut. Seine Zähne sahen aus wie Porzellanfliesen. Dann verstummte sein Lachen so plötzlich, wie es aus ihm herausgebrochen war. »Wir besprechen alles Weitere nach der Landung, Mademoiselle.«

64.
    D ie Clinique d’Kritari war eine Außenstelle des Regionalkrankenhauses von Dimbokro. Wie der Name schon sagte, lag sie in Kritari, einem Dorf etwa fünfzehn Kilometer außerhalb des Zentrums von Dimbokro, wo der Hubschrauber nun zur Landung ansetzte.
    Alex fand, dass das Krankenhaus mit seinen flachen Gebäudeteilen und roten Ziegeldächern eher einer Schule als einer Klinik glich. Ein großer Sendemast stand neben dem Hauptgebäude. Auf der Veranda hatte sie im Sinkflug junge farbige Ärzte und Krankenschwestern in weißen Kitteln gesehen. Von überall her kamen Kinder angelaufen – aus dem Busch, aus Hütten, von den Gemüsegärten oder aus der dem Klinikum angeschlossenen Tageseinrichtung, um die Maschine zu bewundern und sie in Trauben zu umlagern.
    Inmitten des Dorfes stand Dr. Edvard Johannsen und breitete die Arme zu einer Willkommensgeste aus, was ihn ein wenig so aussehen ließ wie die Jesusfigur auf dem Zuckerhut in Rio de Janeiro. Er trug einen buntgemusterten Kaftan und hatte die siebzig deutlich überschritten. Seine Haare waren schlohweiß, die Haut tiefbraungebrannt, und er gab auch im Alter eine imposante Figur ab.
    »Willkommen in Kritari«, sagte Johannsen mit kaum wahrnehmbarem skandinavischem Akzent. Alex lächelte und ergriff seine Hand. Sie fühlte sich weich an. »Kommen Sie«, sagte er und ging voran.
    Die Lehmhütten rund um das Ortszentrum waren mit Palmenblättern gedeckt. Vor einigen lagen Bananenstauden. Daneben standen unzählige Schalen voller Beeren. Offene Feuer erfüllten die Luft mit Brandgeruch. Hunde liefen zwischen Menschen her, die Alex und Roger M’Obele neugierig musterten. Im Schatten eines verrosteten Kleinlastwagens hockte eine alte Frau mit grünem Turban und röstete etwas an einem Spieß. Alex wollte lieber nicht wissen, worum es sich dabei handelte.
    »Vielen Dank«, sagte sie im Gehen zu Johannsen, »dass Sie sich die Zeit nehmen.«
    Der Arzt betrachtete Alex mit einem

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