Totenmond
mit ihm und legt ihm ein paar Bilder vor. Vielleicht erkennt er den Wagentyp ja dann.«
»Warum nicht heute noch?«
»Weil der blau ist. Riecht wie eine Kneipe. Sie haben eine Blutprobe entnommen. Eins Komma vier Promille. Das ist zwar nicht so viel, und er wirkt, als ob er das locker wegsteckt. Trotzdem können wir unter den Umständen keine brauchbare Zeugenbefragung vornehmen, da dreht uns jeder Anwalt einen Strick draus.«
Veronika kam mit einem Becher Kaffee in der Hand herüber. Sie trug eine Daunenjacke mit pelzumkränzter Kapuze und legte das Funkgerät auf dem Dach eines Streifenwagens ab.
Sie sagte: »Das muss ein Trittbrettfahrer gewesen sein.«
Alex bemerkte: »Ich glaube nicht, dass jemand die Morde kopiert. Dazu wäre sehr viel Detailwissen nötig – allein die Sache mit den Briefen und Songtexten.«
»Dann ein Komplize. Ein Komplize würde den bisherigen Modus kennen.«
»Ich halte es für wahrscheinlich, dass jemand Hankemeier ausspioniert hat und so an Daten und Adressen gelangt ist. Auch an die des aktuellen Opfers.«
Veronika hob fragend eine Augenbraue. »Und wie?«
Alex erinnerte sich daran, was ihr Beavis und Butt-Head erklärt hatten. »Ihr solltet Hankemeiers PC auf Trojaner überprüfen oder Log-Dateien abgleichen. Jemand könnte seine Accounts ausspioniert oder genutzt haben. Es könnte sich auch Spionagesoftware auf seinen Telefonen befinden, die er möglicherweise zur Kommunikation in sozialen Netzwerken genutzt hat.«
»Warum sollte ihn jemand überwachen?«
Alex zuckte mit den Schultern. »Vielleicht geht es um Rache. Vielleicht um etwas ganz anderes. Lass mich mit Hankemeier reden, danach kann ich dir vielleicht eine Antwort darauf geben.«
Veronika betrachtete Alex eine Weile. Dann öffnete sie wortlos den Reißverschluss ihrer Jacke, nahm einige zusammengefaltete Zettel hervor und reichte sie Alex. »Das kam vorhin für dich per Fax.«
Alex faltete die Blätter auf. Sie waren mit dem Briefkopf der Gendarmerie der Elfenbeinküste versehen und von Roger M’Obele unterzeichnet. Er hatte die Tatorte isoliert, an denen der weiße Leopard zugeschlagen haben könnte, und entschuldigte sich dafür, dass er wegen einer zeitweiligen Internetsperre infolge des andauernden Ausnahmezustands keine E-Mail mit Dateianhängen senden konnte und deswegen das Fax genutzt hatte.
»Elfenbeinküste?«, fragte Veronika.
»Elfenbeinküste«, antwortete Alex, dachte Scheiße, und steckte die Papiere aus Abidjan in ihre Umhängetasche.
»Du hast dir freigenommen, um hinter meinem Rücken Ermittlungen an der Elfenbeinküste anzustellen, und lässt dir Falldaten in die Behörde schicken?«
»Ist ja nicht so«, brummte Schneider, nahm einen Beweismittelbeutel aus der Tasche, ließ seine Kippe hineinfallen und steckte ihn wieder ein, »dass hinter dem Rücken anderer zu agieren nicht der neue Stil bei uns wäre.«
Veronikas Gesicht gefror zur Grimasse. »Wie soll ich das verstehen?«
Schneider sparte sich die Antwort, zog ein Tempo hervor und schneuzte sich. Einige Forensiker drängten sich an Veronika vorbei. Sie wich ihnen elegant wie eine Schlange aus. Schneider steckte das Tempo ein und fragte Veronika: »Chefin. Wollen wir jetzt weiter über Afrika reden oder einen Mörder schnappen?« Alex hätte Schneider küssen können.
Veronika blickte zwischen beiden hin und her. Schließlich sagte sie: »Wir sind damit noch nicht fertig. Aber im Moment gibt es sicher Wichtigeres zu klären, da hast du recht, Rolf.« Sie deutete mit der Stirn in Richtung der alten Mühle. »Okay, also gehen wir von einem Komplizen aus, der weitermacht, während Hankemeier sitzt. Die beiden waren ein Team. Erscheint mir glaubhafter als ein Nachahmungstäter.«
Alex verdrehte die Augen. Veronika wollte ums Verrecken nicht davon abrücken, den richtigen Mann in der Zelle sitzen zu haben. Diese Dreistigkeit war einfach unglaublich. »Tut mir leid«, sagte Alex gefasst, »aber ich denke, wir haben schlicht und ergreifend den falschen Mann, und der richtige ist weiterhin aktiv.«
»Die Inszenierung der Leiche entspricht aber nicht dem bisherigen Modus, richtig, Alex?«
»Er hat seine Gründe dafür.«
»Ah ja«, nickte Veronika. »Dann erklär mir die mal.« Wortlos zog sie einen schmalen Tablet-Computer aus ihrer Umhängetasche. Mit einem Fingertippen öffnete sie eine Bilddatei – Fotos, die offenbar von der Spurensicherung bereits übertragen worden waren. Sie zeigten die Wände der Mühle. Rohes Mauerwerk,
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