Totenmond
waren. »Tarzan und die Leopardenmenschen«, las Schneider überdeutlich vor. Er legte das Heft zurück und sah Alex durchdringend an. Ihr Hals fühlte sich an, als stecke ein Tennisball darin.
79.
A ls sie zurück zum Wagen gingen, waren die Schneeflocken so groß wie Geldmünzen. Alex blickte Schneider an und sagte: »Zigarette.«
»Bitte?«
»Zigarette. Jetzt.«
Schneider schüttelte den Kopf. »Von wegen. Du rauchst doch gar nicht. Aber ich rauche eine für dich mit.« Er zögerte nicht, zog die Packung heraus und steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel. Er brauchte drei Versuche in dem Wind, um sie zum Glimmen zu bringen.
»Das ist der schrägste Mist, den ich je gehört habe, Alex. Dieses Fotoalbum!« Schneider patschte sich mit der Hand gegen die Stirn und ging um den Wagen herum, schloss ihn auf und ließ sich auf den Fahrersitz fallen.
Alex setzte sich ebenfalls ins Auto und legte sich das Album auf den Schoß. »Es passt alles zusammen, Rolf. Alles passt ins Bild. Wir müssen herausfinden, wo Harald Frentzen ist. Wir müssen beim Jugendamt klären …«
Schneider ließ den Wagen an und stellte die Scheibenwischer ein. Im Autoradio verkündete der Sprecher, dass für große Teile des Bundeslands Unwetterwarnungen herausgegeben worden seien und auf vielen Autobahnen bereits nichts mehr ging, insbesondere im Sauerland nicht.
Schneider schüttelte den Kopf: »Vergiss das mit dem Jugendamt. Du hast die Kollegen vom LKA ja gehört – sie haben bereits ein paar Verfügungen auf den Weg geschickt und noch nichts gehört. Da werden die vom Amt uns das bestimmt nicht auf die Nase binden, bloß weil wir so nett aussehen.«
»Wir brauchen die Geburtsnamen der Kinder. Vielleicht hat Harald Frentzen diesen wieder angenommen, oder aber …« Alex legte sich die Hand vor den Mund. Sie starrte vor die Windschutzscheibe, ohne irgendetwas wirklich klar vor sich zu sehen. Die Gedanken rasten in ihrem Kopf, um sich dann wieder zu sammeln und zu einem Bild zu fügen. »Verdammt«, sagte sie durch ihre Finger hindurch. »Wenn die Jugendämter Kinder wegen Missbrauchsverdacht aus Familien herausnehmen, erhalten sie zum Schutz manchmal neue Namen, bevor sie in andere Pflegefamilien oder in ein Heim kommen. Ich kann mir vorstellen, dass das bei Harald Frentzen auch der Fall gewesen ist. Deshalb taucht der Name in keinem Register auf.«
»Also jagen wir ein Phantom. Wird ja immer besser.« Schneider setzte den Wagen zurück. Die Reifen drehten durch. Schließlich setzte sich der Wagen in Fahrt – zurück nach Lemfeld. Alex überlegte gerade, was als Nächstes zu tun wäre, als in ihrer Handtasche das Handy vibrierte.
Auf dem Display stand Jans Nummer. Er meldete sich mit einem »Hey«, und Alex hörte sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Hey«, sagte sie tonlos.
»Ich weiß nicht genau, wie ich das erklären soll …«
»Was ist los, Jan?«
Er seufzte tief und beunruhigt. »Ich bin eben nach Hause gekommen. Mia ist weg.«
»Ist sie wieder bei ihrer Freundin?«
»Alex, ich weiß nicht – in der Wohnung sieht es so aus, als sei sie Hals über Kopf abgehauen, aber ohne ihre Jacke, ohne Handy, ohne alles. Und da lag dieser Zettel auf dem Boden.«
»Was steht auf dem Zettel?«
»›Jetzt ist es wirklich ernst.‹«
Die Worte stachen Alex durch das Herz. Diesen Zettel konnte nur einer geschrieben haben – der Mann, der Alex zuvor gewarnt hatte, die Dinge ernst zu nehmen. Der Mann, der sie verfolgt hatte und offenbar auch über ihre Beziehung zu Jan Bescheid wusste. Der Mann, der nun Mia in seine Gewalt gebracht hatte.
»Alex, was hat das zu bedeuten?«
Alex versuchte, die Gedanken zu sortieren. »Jan«, stammelte sie, »du musst bleiben, wo du bist. Ich schicke gleich ein paar Kollegen vorbei.«
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Jan nochmals mit sich überschlagender Stimme.
Alex schluckte. Es hatte keinen Sinn, ihm etwas vorzumachen. »Ich fürchte, Mia ist in Gefahr, Jan. Es ist gut, dass du mich sofort angerufen hast.«
»In was für einer Gefahr?«
»Jan, ich muss jetzt sehr schnell handeln.«
Alex hörte ihn schwer atmen. »Wo ist Mia?«, fragte er leise. »Wenn ihr irgendetwas geschieht, dann … Was ist da los, Alex?«
Alex bemerkte Schneiders besorgten Seitenblick. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und sagte: »Wir suchen einen Mörder, Jan. Dieser Mörder hat mir Briefe geschrieben. Er schickt mir Liedtexte, um seine Taten anzukündigen. Es könnte sein, dass er Mia in seiner
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