Totenmond
Münster angereist war. Zeitgleich beschloss sie, ein kleines Geschenk für Schneider zu besorgen und es ihm kommentarlos auf den Schreibtisch zu stellen.
Schneider lachte. »Ach, lass mal. Aber vielleicht habe ich ja Silvester eine Verabredung«, sagte er, während der Fahrstuhl zum Stehen kam.
»Ein Date? Etwa mit einer Pathologin?«, fragte Alex, deren Miene sich mit einem Mal erhellte.
»Quatsch, das fehlte mir auch noch! Na ja, schaun mer mal.« Schneider betrat den Flur, nachdem sich die Schiebetüren geöffnet hatten.
»Na, komm schon, raus mit der Sprache«, bohrte Alex nach und boxte Schneider mit der Linken an die Schulter. Sie dachte an gestern, als sie mit Rolf ins Station gewollt und er so rumgedruckst hatte.
»Da gibt’s nichts zu erzählen«, entgegnete er und schlurfte den weißgetünchten Gang entlang, der zu einer matt silbern glänzenden Tür aus Edelstahl führte. »Ist eine ganz Nette. Ich kenne sie aus dem Chat.«
»Nette? Chat?«
Bitte? Schneider und Chat? Rolf war eher der seriöse Typ und hörte von morgens bis abends Volksmusik. Alex hätte erwartet, dass er zu einer angesehenen Partneragentur gehen würde, wenn er eine Frau kennenlernen wollte. Er schien ihr als der Typ Mann, der mit einer Rose als Kennzeichen in einem Kur-Café zum Rendezvous bei Käsekuchen sitzen würde. Offenbar hatte sie ihn ein weiteres Mal falsch eingeschätzt – Schneider war schon oft für eine Überraschung gut gewesen. Auch, als Alex erst neulich ganz nebenbei erfahren hatte, dass er schon einmal verheiratet gewesen war.
Schneider machte im Gehen eine wegwerfende Geste. »Wo will man denn heute noch wen kennenlernen in unserem Beruf?«
» Du chattest?«
»Na ja, Chatten ist übertrieben. Ich habe zufällig mal bei GetLove reingeschaut, dieser Freundschaftsbörse.«
Ja. GetLove. Die Plakatwände in der Stadt und die Anzeigenteile der Zeitung waren voll mit Werbung. Alex hatte dem bislang keine große Beachtung geschenkt. Es gab schließlich Hunderte solcher Freundschafts-Communitys, soziale Netzwerke und Kontaktbörsen, wenngleich GetLove ausschließlich regional orientiert war.
»Klingt aber schon eher nach etwas mehr als Freundschaftsbörse«, sagte sie.
»Da sind alle möglichen Leute Mitglied, die haben mehr als zehntausend Accounts, das boomt wie blöde.« Schneider streckte die Hand aus, um die Tür zur Pathologie zu öffnen.
»In jedem Fall finde ich das klasse, Rolf, und ich freue mich für dich. Ich hatte mich nur gewundert, weil etwas wie Internet-Foren einfach nicht in mein Bild von dir passt.«
Er lächelte schüchtern. »Der Onkel hat immer noch ein paar frische Farben auf der Palette.«
19.
A ls Alex und Schneider den weißgefliesten Obduktionssaal der Pathologie betraten, nähte ein Obduzent gerade Antje an Huefs Oberkörper so gut es ging zusammen. Ein anderer war damit beschäftigt, Gerätschaften von Blut und Körperflüssigkeiten zu reinigen.
Auf einem Edelstahltisch war die am Tatort gefundene Kleidung ausgebreitet. Dr. Irina Woyta lehnte an einem weiteren Tisch und sprach ihren Befund in ein Diktiergerät. Unter einem weißen Kittel trug sie den obligatorischen grünen OP-Anzug. Sie schenkte Alex und Schneider ein offenes Lächeln, bei dem ein Brillant auf dem Eckzahn ihres strahlend weißen Gebisses aufblitzte und sich sympathische Fältchen an ihren Augen bildeten. Neben ihr stand ein Koffer, in dem Alex medizinische Instrumente, elektronische Geräte, einige Beweismittelbeutel sowie Kunststoffampullen mit rotem Schraubverschluss ausmachen konnte. Hinter der Ärztin war außer einem Laptop ein großer Flachbildschirm aufgebaut – auf den ersten Blick nicht das übliche Handwerkszeug eines gerichtsmedizinischen Teams.
»Schönen guten Morgen«, sagte die Ärztin und legte ihr Diktiergerät zur Seite. Dr. Woyta drehte sich postwendend zu dem Computer um und schaltete den Großbildschirm ein.
»Ist das ein 3-D-Bildschirm?«, fragte Schneider.
Die Ärztin winkte ab. »Nein. Wir haben das Gerät nur zum Ausprobieren mitgebracht. Meine Studenten in Münster können dann besser sehen, wenn wir schneiden. Bilde dir bloß nicht ein, dass ich das Ding jedes Mal dabeihabe.«
»Schade aber auch«, sagte Schneider. »Irina, du hast dir den Tatort ja angesehen. Nach dem, was wir bislang rekonstruieren können, ist der Täter mit einem Wagen vorgefahren, hat das Opfer in die Halle geschleift, entkleidet und mit Klebeband auf einem Tisch fixiert. Er ging seinen Handlungen nach
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