Totenmond
und hat das Klebeband dann wieder aufgeschnitten, das Opfer in den Heizkesselraum verbracht und an der Seilwinde festgemacht.«
Dr. Woyta nickte. Sie wandte sich zu Alex. »Ich gehe davon aus, dass das Opfer recht lange den Minusgraden ausgesetzt gewesen ist. Der Todeszeitpunkt lässt sich daher leider nicht sehr genau festlegen. Die Tat dürfte vor sechs bis acht Tagen stattgefunden haben. Allerdings haben wir auch Glück: Der Mageninhalt ist wegen des Frostes gut konserviert worden. Hier, seht ihr die Blutspuren?«
Sie deutete auf den Monitor und rief Bilder vom Tatort auf. Einige hatte sie selbst geschossen, andere waren ihr vom Polizeifotografen zur Verfügung gestellt worden. Alex sah darauf eine Vielfalt von Spritzern und Tropfen.
»Die Blutmarkierungen weisen verschiedene Auftreffwinkel und Verschmierungen auf. Sie sind vermutlich entstanden, als das Herz noch schlug.« Die Ärztin wies mit dem Zeigefinger auf runde Tropfen, die der Fotograf am Boden des Kesselraums aufgenommen hatte. Dazu zeigte sie Bilder von den getrockneten Blutrinnsalen an den Schenkeln und Füßen des Opfers. »Todesursache ist entweder immenser Blutverlust oder Unterkühlung. Das Genick ist zwar gebrochen, aber das führe ich auf den Sturz zurück. Der Körper war ja von der Winde gefallen, als einer der Finder versehentlich einen Auslöser betätigt hatte.«
»Was«, fragte Alex und wünschte, sie hätte ein paar Zahnstocher oder Stifte, um sie zu sortieren, »hat er im Einzelnen mit dem Opfer gemacht? Offensichtlich sind ja …«
»… die Schnitte am Körper, die leeren Augenhöhlen, fehlende Organe und Fleischteile sowie weitere Blessuren«, fiel Irina Woyta Alex ins Wort. »Der Täter hat sein Opfer mit einem stumpfen Gegenstand mindestens dreimal auf den Hinterkopf geschlagen – und hier kann ich ausschließen, dass es sich um Verletzungen vom Absturz des Körpers handelt. Zu welchem Zeitpunkt er sich an ihr vergangen hat, kann ich nicht genau sagen. Er hat vermutlich ein Kondom benutzt.«
Schneider schaltete sich ins Gespräch: »Er gabelt sie irgendwo auf, zieht ihnen eins über den Schädel.«
Dr. Woyta zuckte mit den Schultern. »Denkbar.« Sie erklärte: »Der Körper … Ich habe so etwas bislang nur ein Mal gesehen – in der Nele-Bender-Sache. Die feineren Schnitte stammen von einer sehr scharfen und dünnen Klinge. Eine Rasierklinge, vielleicht ein Skalpell. Die anderen sind recht grob, sehr tief, symmetrisch und verlaufen parallel. Sie sehen mehr wie Risse aus, wie Verletzungen von Klauen – ich würde auf so etwas wie eine spitze Hacke tippen. Eine Harke vielleicht. Es wirkt fast so, als sei ein wildes Tier über die Frau hergefallen. Als sei der Torso von Pranken zerfetzt und aufgebrochen worden, um an die Innereien zu gelangen. An der Hüfte scheint es, als sei ein Stück herausgebissen und der Bewegungsapparat dabei verletzt worden. Nieren und Leber hingegen sind mit präzisen Schnitten herausgetrennt worden. Sie fehlen – ebenso das Stück der Hüftmuskulatur. Genau wie bei Nele Bender.«
»Und wie bei Nele Bender haben wir diese Körperteile nicht am Tatort gefunden. Er nimmt sie mit«, schnaufte Schneider.
»Gleiches gilt wohl auch für die Brustwarzen«, sagte Dr. Woyta und klickte eine Detailaufnahme des Oberkörpers auf den Bildschirm. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich ja sagen, dass die Frau von einem Löwen oder etwas Derartigem angegriffen worden ist. Genau wie Nele Bender.«
»Und er hat seine Tat erneut gefilmt«, sagte Schneider.
»Gefilmt?« fragte Alex.
»Ich dachte, du hast die Akte gelesen?«
»Leider noch nicht in allen Details, und Veronika wollte sie vorhin haben. Mir sind aber dennoch ein paar Dinge aufgefallen, die …«
Schneider hob die Hand, um Alex zu bedeuten, dass jetzt nicht der passende Zeitpunkt dafür war. »Wir haben an den Schliemannschen Werken Spuren sichergestellt. Einige auf dem staubigen Boden der Lagerhalle, punktförmige Abdrücke von Stativen sowie von Kabeln verwischter Staub. Nach der Anordnung zu urteilen, hat der Täter eine Kamera aufgebaut und links und rechts daneben Scheinwerfer postiert.«
»Ich dachte, die Halle steht seit Jahren leer – woher der Strom?«, fragte Alex.
»Eine Autobatterie oder ein kleiner Generator.«
»Also«, sagte Dr. Woyta, sah auf die Uhr und dann zu der Leiche von Antje an Huef, »ich denke, die ersten Analysen werden wir nicht vor Mittwoch haben – schneller als einen Tag vor Heiligabend wird
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