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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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es wohl nicht gelingen. Wir können wegen der Weihnachtsferien nur mit einer Sparbesetzung fahren. Aber da ich selbst den Notdienst habe, setze ich alles in Bewegung«, erklärte sie mit einem Augenzwinkern.
    »Du hast die Arschkarte gezogen?«, fragte Schneider.
    Dr. Woyta schüttelte ihren Pagenkopf und lächelte. »Nein, freiwillig gemeldet. Ich lege auf Weihnachten nicht so viel Wert. Vielleicht sehe ich mir abends ein paar DVDs an oder besuche meine Mutter, mal schauen.«
    »Ah so, verstehe«, machte Schneider.
    Alex verkniff sich ein Lächeln. Dann betrachtete sie den geschundenen Körper von Antje an Huef und dachte daran, was sie hatte erleiden müssen. Und wie unsagbar brutal der Täter vorgegangen war.

20.
    E s war bereits später Nachmittag, als Alex in der weitläufigen Eingangshalle des Lemfelder Landesmuseums stand und in einem Prospekt blätterte. Der kubusförmige Bau hatte von außen wie ein auf den Kopf gestelltes Aquarium ausgesehen. Durch die großen Glasfronten fiel die Wintersonne auf den grauen Steinboden, und Alex merkte kurz auf, als sich die Flügeltüren öffneten und lärmend eine Kindergartengruppe in das Foyer stürzte. Sie wurde von einer rundlichen Frau in Empfang genommen, bei der es sich wahrscheinlich um eine Museumspädagogin handelte. Die Frau sagte etwas zu den Kindern, das Alex nicht verstand – es hallte wie im Schwimmbad. Dann setzte sich die Gruppe in Bewegung, ging an Alex und dem Tresen mit der Kasse vorbei.
    Ein Lächeln huschte über Alex’ Lippen. Sie musste an Larissa denken, ihre kleine Nichte. An Lisa, die Kleine von Helen, für die nächstes Jahr die Schule beginnen würde. An die regelmäßigen Hinweise von Mama, dass Alex’ Uhr ticke. Das Lächeln legte sich. Sie dachte an Papas ständige Bemerkungen darüber, wie großartig Opasein sei, und die nervenden Belehrungen ihrer Schwester Jule über die Segnungen der Mutterschaft. Und letztlich daran, dass sie dem ganzen Spektakel zu Weihnachten in diesem Jahr definitiv nicht aus dem Weg gehen konnte.
    Alex legte den Prospekt zurück und wandte sich dem Buchregal zu. Sie erkannte Publikationen über die Germanen, die römische Präsenz am Rhein, mittelalterlichen Städtebau, frühneuzeitliche Agrarwirtschaft, über die Personalunion von Scharfrichtern und Chirurgen, eine Abhandlung über Darstellungen auf mittelalterlichen Herdplatten sowie über die Geschichte der Judenverfolgung in Lemfeld.
    Dreimal wurde als Autor oder Koautor ein Dr. Martin Ruppel genannt. Auf dem Einband der Stadtchronik stand der Name Dr. Bernhard Funke. Sie kannte beide Namen nur zu gut. Martin Ruppel war der Lemfelder Stadtarchivar. Alex überlegte, ob er ihr vielleicht mit einigen Informationen über die Tatorte weiterhelfen könnte, zu dieser alten Fabrik etwa. Andererseits hatte sie Martin lange nicht mehr gesprochen. Dass man Freunde bleiben würde, sagte sich immer so leicht. Es zu praktizieren, wenn man sich dabei fühlte wie ein Hund, dem man die Wurst vor die Nase hielt, war eine andere Sache. Alex war in diesem Spiel nicht der Hund.
    »Frau von Stietencron?«
    Alex drehte sich um.
    Die Stimme gehörte zu Marc Berner. Mit seinem Tweed-Jackett und der roten Fliege sah er aus wie ein Oxford-Professor. Er mochte um die vierzig Jahre alt sein, trug sein halblanges, weizenblondes Haar an den Seiten mit Gel zurückgestrichen. Seine Blicke huschten rastlos umher. Berner war Anthropologe und leitete die Abteilung für Völkerkunde, die sich gerade im Umbau befand und mit einer großen Mumien-Sonderschau neu eröffnet werden sollte. Für einen Wissenschaftler hatte er einen überraschend festen Händedruck. Und einen feuchten dazu.
    »Marc Berner«, stellte er sich knapp vor. Er wirkte gestresst.
    »Stietencron, Kripo«, sagte Alex. »Vielen Dank, dass Sie sich so kurzfristig Zeit für mich nehmen konnten.«
    »Ähm.« Berner rieb sich nervös das Ohrläppchen. »Ja, ich habe leider nicht sehr viel davon. Sie müssen bitte entschuldigen: Im Rahmen unserer baldigen Mumien-Sonderschau erwartet mich eine Delegation vom Deutschen Museumsverband und unserer Träger. Lobbyarbeit, wenn Sie verstehen …«
    »Kein Problem«, sagte Alex.
    »Gehen wir doch in mein Büro.«
    »Gerne«, sagte Alex und folgte Berner durch den langen Flur. Berner legte raumgreifende Schritte vor. Im Gehen erklärte er: »Der Schwerpunkt unserer Einrichtung liegt auf Naturkunde, Ur- und Frühgeschichte, Volkskunde und Landesgeschichte. Wir präsentieren hier

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