Totenmond
können. Er machte eine hilflose Geste und meinte: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Alex lachte und drehte sich um die eigene Achse, bevor sie sich in eine Modelpose stellte. »Wie wäre es mit: Du siehst toll aus, Alex?«
»Du siehst toll aus, Alex.«
»Atemberaubend?«
»Atemberaubend.«
»Dann bin ich zufrieden.«
»Ja«, schmunzelte Jan, »ich auch.« Er hängte den Mantel an die Garderobe.
Alex blickte sich um. An den hohen Wänden hingen auf Leinwand aufgezogene Schwarzweißfotografien. Makro-Aufnahmen von Pflanzen. Im geräumigen Wohnzimmer setzte sich die Galerie fort, nur hingen hier weniger und dafür größere Bilder, die Ansichten aus Städten zeigten. Ein antiker Ofen aus Gusseisen verströmte wohlige Wärme. Daneben stand ein Buchregal, in dem Alex zahllose Bildbände erkannte. Auf einer Kommode aus weißem Klavierlack thronte ein Flachbildfernseher. In der Mitte des Raumes stand eine Couchlandschaft aus Leder, unter der stuckverzierten Decke hing ein Kronleuchter. Sein Licht war gedimmt, um nicht das der zahllosen Duftkerzen zu überstrahlen, die nach Vanille und Zimt rochen. In der Zimmerecke stand ein kleiner Weihnachtsbaum. Er war mit einer Lichterkette und Lametta behangen. Neben einem Fenster sah Alex eine Buddha-Figur aus Holz auf dem Boden sowie einen Instrumentenständer mit einer Akustikgitarre.
»Du hast Geschmack«, sagte Alex und nickte anerkennend.
Jan griff nach einem Kübel, in dem sich eine Moet-Flasche befand, aus der er perlenden Champagner in zwei bereitstehende Gläser goss.
»Hast du die Fotos selbst gemacht?«
»Ja, so dann und wann.«
»Die könnten auch in einer Galerie hängen.«
Jan balancierte die Champagnergläser durch den Raum und reichte Alex eines davon. »Ist ein Hobby von mir, mehr nicht.«
Alex hob ihr Glas. Klingend stieß es an das von Jan.
»Schön, dass du da bist«, sagte er.
Seine Blicke klebten an Alex, als sie sich grazil auf der Couch niederließ. Ja, dachte sie und sah zu Jan hinauf. Es fühlt sich alles genau richtig an. So richtig wie noch nie. Alle ihre Vorbehalte gegen neue Beziehungen, ihre Bedenken, Selbstzweifel – nichts davon hatte in der Gegenwart von Jan noch Raum. Es war einfach nicht präsent. Weg. Wie nie da gewesen, und sie hatte keine Ahnung, wie ihr geschah. Vielleicht war inzwischen genug Zeit verstrichen, so dass die alten Wunden verheilten. Aber vielleicht war die Antwort auch einfacher. Vielleicht fühlte es sich einfach genau so an, wenn man den Richtigen traf und wusste, dass er da sein würde, wenn man sich fallen ließ. Gewissheit würde sie darüber aber nur erlangen, wenn sie es darauf ankommen ließ. Warum nicht jetzt? Hier und heute?
»Was ist?«, fragte Jan.
»Nichts«, antwortete Alex. »Und, was steht auf dem Programm?«
»Tja«, meinte Jan unschlüssig, setzte sich ebenfalls auf die Couch und wuschelte sich durchs Haar, bevor er einen Schluck Champagner trank. »In der Stadthalle gibt es einen Ball, und im Bahnhof, wo wir uns zum ersten Mal getroffen haben, ist ebenfalls eine Feier, und …«
»… und wofür hast du Karten?«
Jan blähte die Backen und zuckte mit den Achseln. »Ach, da kommt man sicher noch überall rein, und …«
»Du hast keine Karten? So ganz und gar nicht für irgendetwas?«
»Nein, ich bin da eher spontan und dachte, wir schauen mal, wozu wir Lust haben.«
»Aha«, machte Alex bockig. Hatte sie gerade richtig gehört, dass Jan mit ihr Silvester feiern wollte und sich um nichts gekümmert hatte? Sie warf ihre Haare zurück und dachte: Egal, reiß dich zusammen, Prinzessin.
Jan schmunzelte und trank noch einen Schluck. »Mein Leben verläuft nicht so geplant, Alex. Ich bin eher wie ein Blatt auf den Wellen, das sich von der Strömung treiben lässt.«
»Und wenn ein Sturm aufzieht und die Wellen über dich hereinbrechen?«
»Dann warte ich, dass die Sonne wieder scheint.«
»Wenn eine Flaute kommt, bewegst du dich gar nicht?«
»Nein. Kein Stück.«
Alex lachte. »Immerhin scheinst du genau zu wissen, was du willst – auch wenn es nicht besonders viel ist.«
»Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es manchmal besser ist, die Dinge auf sich zukommen zu lassen.«
»Solche Weisheiten sind gute Argumente, um sich vor Entscheidungen zu drücken.«
»Nun, solange man weiß, was man will …«
»Auch wenn es nicht besonders viel ist …«
Jan grinste. Das Kerzenlicht funkelte in seinen Augen. Er rieb seine Handflächen aneinander.
»Und was ist es, was du
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