Totenmond
Toilettenpapier ab, stand auf, wischte sich damit zwischen den Beinen und spülte ab.
»Ich … Ich wusste das nicht, dass …«, stammelte Alex.
Mia grinste und zog sich das hochgerutschte Shirt wieder über den Hintern. Sie kam auf Alex zu, nahm die Zahnbürste und steckte sie sich in den Mund, um sich damit einige Male fahrig über das Gebiss zu putzen. Der Geruch von kaltem Rauch und Alkoholausdünstungen stieg Alex in die Nase.
Alex versuchte, sich zu sammeln, was ihr nur leidlich gelang. »Sorry, aber …«, sagte sie schließlich mit fester Stimme und beobachtete, wie Mia ausspuckte, das T-Shirt auszog, es in die Ecke feuerte und splitternackt zur Dusche trottete. »Sorry, das ist eine blöde Situation irgendwie, und …«, hob Alex erneut an und sprach etwas lauter, als die Dusche zu rauschen begann. »Also, ich hatte keine Ahnung, dass Jan …« Alex versuchte, zu schlucken. »Ich wusste nicht, dass …«
Die Glastür öffnete sich einen Spalt weit, und Mias tropfnasses, grinsendes Gesicht erschien. »Er ist mein Papa. Alles halb so krass.«
41.
A lex nickte steif. »Papa. Ja klar.« Sie strich sich eine nasse Haarsträhne hinters Ohr. »Stimmt. Alles halb so krass dann.«
Sie presste die Lippen aufeinander. Ihre Nasenflügel blähten sich. Dann patschte sie mit großen Schritten über die Fliesen, öffnete die Badezimmertür, marschierte wutschnaubend über den Flur und riss die Schlafzimmertür auf.
»Jan?«, fragte sie und hörte, wie sich ihre Stimme überschlug. Aber da war kein Jan mehr.
»Küche!«, hörte sie ihn rufen.
Alex wirbelte herum und hielt auf die Küche zu. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine offen stehende Tür wahr, hinter der ein Poster von Nirvana an der Wand hing. Jetzt entdeckte sie auch eine weitere Jacke an der Garderobe, eine Handtasche und ein paar achtlos ausgezogene Boots mit Schneerändern. In der Küche stand ein strahlender Jan in Unterhose und einem verwaschenen T-Shirt mit zwei Kaffeetassen in der Hand.
»Kaffee?«, fragte er lächelnd.
Alex funkelte ihn an, schloss die Tür hinter sich und riss ihm den Becher förmlich aus der Hand, um einen großen Schluck zu nehmen.
»Was denn?«, lachte Jan erstaunt. »Alles klar?«
»Nein«, fauchte sie und stieß Jan vor die Brust.
»Ähm, okay?«, machte Jan in dem gleichen fragenden Tonfall wie eben seine Tochter auf der Toilette.
»Ich hatte eben die Ehre, unter der Dusche deine Tochter kennenzulernen, Jan!«
»Ach, Mia«, stotterte er und wuschelte sich verlegen durch die Haare. »Ja, ich hatte angenommen, sie bleibt über Nacht bei ihrer Freundin – aber hat sich offenbar anders ergeben.«
»Jan!« Wieder stieß Alex ihn vor die Brust und trank noch einen großen Schluck Kaffee. »Das war eine ziemlich blöde Situation für mich, und wieso, um Himmels willen …« Sie rang nach Worten. »Warum hast du mir nichts von Mia erzählt? Warum muss ich auf diese Weise erfahren, dass du …«
»… dass ich gebraucht bin?« Jetzt trank Jan einen Schluck Kaffee. »Nicht mehr neu, nicht unique? Nicht so, wie du dachtest und es gerne hättest? Dass es ein Leben vor dir gegeben hat?«
»Ich …« Alex keuchte fassungslos. »Ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll.«
Jan hielt die Kaffeetasse mit beiden Händen fest. »Mia ist in den Weihnachtferien zu Besuch bei mir. Sie ist siebzehn und lebt im Prinzip ihr eigenes Leben.«
»Trotzdem hast du kein Wort davon gesagt, dass …«
»Und du hast nicht danach gefragt, oder?«
»Nein«, sagte Alex baff und trank den Rest Kaffee aus. Sie hielt Jan die Tasse hin, damit er nachschenkte.
»Alex«, erklärte er beim Eingießen, »ich fand es bislang nicht so wichtig, und es hat sich irgendwie nicht ergeben, dir von Mia zu erzählen. Sie ist ein Teil von mir und für mich so natürlich vorhanden wie mein rechter Arm. Für mich waren zunächst andere Dinge wichtig, nämlich nur du, und ich hätte dir bei einer Wohnungsführung bestimmt ihr Zimmer gezeigt, aber so weit sind wir ja nicht gekommen, und, na ja, du hast mir wirklich den Kopf verdreht, und …«
Alex zog die Kaffeetasse wieder an sich und las in Jans Gesicht, dass er alles genau so meinte, wie er es gerade gesagt hatte. Keine Ausflüchte, keine umständlichen Erklärungen, authentisch. Trotzdem. War sie jetzt von einem Moment auf den nächsten nicht nur Geliebte, sondern auch Leihmutter einer fast volljährigen Jugendlichen geworden? Hatte er sie danach gefragt, ob sie das wollte? Wäre sie
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