Totenmond
überhaupt hier, wenn sie von Mia gewusst hätte? Blöde Frage, dachte Alex. Natürlich wäre sie das. Trotzdem.
»Ich habe eben ihre Zahnbürste benutzt. Ich dachte, du hättest extra eine für mich hingelegt«, sagte Alex und verbrühte sich beim nächsten Schluck Kaffee fast die Lippen.
Jan lachte, und Alex biss sich auf die Unterlippe, um nicht mitzugrinsen – obwohl sie noch sauer war. Die Situation war bescheuert gewesen, absurd. Aber trotzdem lustig. Außerdem musste sie sich gerade angehört haben wie eine eifersüchtige Furie. Wie konnte man denn eifersüchtig auf die Tochter eines Mannes sein, in den man sich geradewegs verliebte? Wie konnte sie ihm seine Vergangenheit anlasten? Was war denn mit ihrer eigenen? Würde er es ihr auch vorwerfen, wenn sie ihm bloß scheibchenweise von Benji und ihren langjährigen Bindungsängsten erzählen würde? Und warum hatte sie gestern den ganzen Abend lang nicht ein einziges Mal daran gedacht?
Jan rieb sich grinsend über die Augen und machte dann eine abwehrende Geste. »Hey. Alex. Es stimmt. Du hast recht. Es tut mir leid. Das war eine blöde Situation für dich, und für Mia sicher auch. Ich hätte dir vorher von ihr erzählen sollen …«
Alex winkte ab und sagte mit einem Seufzer: »Hast du ja jetzt.«
»Ich habe Mia erzählt, dass ich mit dir ausgehe und was du für eine tolle Frau bist. Aber nochmals: Entschuldigung«, sagte Jan. »Manchmal bin ich vielleicht wirklich etwas zu fahrig und locker in solchen Dingen.«
Alex nickte beiläufig. Sie wollte gerade noch ergänzen, dass Jan mit dieser Einschätzung richtig lag, als sich die Küchentür öffnete und Mia erschien. Sie hatte ein Handtuch um den Oberkörper gewickelt und hielt ein Handy in der Hand, das die Titelmelodie von Beverly Hills Cop spielte.
»Ist das deins? Krasser Klingelton«, kicherte Mia.
Alex schnappte sich wortlos das Handy und sah auf das Display. Martin Ruppel. Ausgerechnet jetzt. Ihre Speiseröhre brannte, und ihr Magen zog sich zusammen. Das neue Jahr fing ja gut an.
42.
M artin trug eine Strickmütze und eng anliegende Joggingkleidung. In seinen Augenbrauen hatten sich vom Schweiß kleine Eiskristalle gebildet. Er schnaufte und lief neben Alex im verharschten Schnee auf den Wanderwegen rund um die Jägerteiche – kleine Seen in einem Naherholungsgebiet oben im Wald. Der Himmel hatte die Farbe des Eises auf den Teichen angenommen. Alex zog ihren Schal etwas fester zu. Er roch nach Jan. So wie heute alles nach ihm zu duften schien.
»Ich versuche immer noch, so oft wie möglich zu laufen«, sagte Martin, »aber ich glaube, für einen kompletten Triathlon wäre ich nicht mehr fit genug.«
»Kenne ich«, schnaubte Alex. Die kalte Luft bohrte sich wie eine Nadel in ihre Bronchien. Sie sprang über eine Wurzel, die den Weg kreuzte. Für einen kurzen Moment stach es in ihrem Knöchel. »Mein letzter Triathlon liegt auch schon geraume Zeit zurück. Vielleicht sollte ich mich einfach mal wieder anmelden und mich dazu zwingen.«
Schließlich liefen sie schweigend eine Weile nebeneinanderher. »Schön gefeiert gestern?«, brach es dann aus Martin hervor.
Alex nickte. Es gab keinen Grund, das zu verheimlichen. »Und du?«
»Bisschen. Hast du wieder jemanden kennengelernt?«
»Martin, ich hatte gehofft, das wäre geklärt, und …«
Er machte im Laufen eine abwehrende Geste. »Gehen wir ein Stück?«
Statt zu antworten bremste Alex ab. Der Spazierweg vor ihnen hatte sich verjüngt und führte nun tiefer in den Wald hinein. Der Wind strich durch die kahlen, vereisten Äste. Die Stille erschien bis auf das Geräusch ihrer Schritte allumfassend. Der Himmel war noch grauer geworden.
Martin schwang die Arme im Gehen wie Windmühlenflügel. »Du hast mich gefragt, ob ich mit dem Begriff Bourbon Street etwas anfangen kann. Zunächst ist mir natürlich das Lied von Sting dazu eingefallen.«
Alex sagte nichts dazu.
»Irgendwelche Dinge in Bezug auf New Orleans oder mit Bourbon-Whiskey«, redete Martin weiter. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dich so etwas interessiert.« Er machte eine Pause und fragte dann: »Kennst du das Schloss Oberloh?«
Alex dachte einen Augenblick lang nach. »Nie gehört.«
»Schloss Oberloh war ein früheres Gestüt der Fürsten zu Lemfeld-Schaumburg. Stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert. Früher war es ein hübscher barocker Landsitz, liegt aber auf einem Gelände, das nach dem Zweiten Weltkrieg in die Hände der britischen Rheinarmee
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