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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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zerbrochen. Dann wurde es wieder totenstill.
    Der Mann starrte auf den zugefrorenen See und wartete darauf, dass etwas geschah. Aber es passierte nicht. Der Kombi blieb, wo er war.
    Der Mann hatte das Gefühl, als ob ihm eine eisige Hand durchs Rückgrat fuhr und sein Herz umklammerte. Wieso brach der verdammte Wagen nicht durch das Eis? Einfache Antwort: Es war stabiler, als er angenommen hatte. Schlecht, dachte der Mann, Ganz schlecht. Katastrophal.
    Er überlegte fieberhaft, ob er hinterherlaufen sollte. Den Wagen noch einmal anschieben bis zum Überlaufturm, wo das Eis ganz sicher dünner war. Aber was, wenn er dort selbst einbrechen würde? Er faltete die Hände, massierte sich die Knöchel. Und hörte wieder etwas. Kein Knacken oder Zerspringen. Ein Auto näherte sich.
    Dem Mann stellten sich die Nackenhaare auf. Das Motorengeräusch drang von der Straße herüber. Er sah sich über die Schulter um und redete sich ein, dass das Auto in jedem Fall weiterfahren würde. Tat es aber nicht. Es klang vielmehr, als verlangsamte der Fahrer das Tempo, um in die Einfahrt zum Parkplatz abzubiegen. Wer sollte abends bei diesen Minusgraden hierherkommen, fragte sich der Mann. Es gab verschiedene Möglichkeiten. Jogger. Ein Liebespärchen. Förster. Die Polizei, die nach einem Wagen suchte, der jetzt mitten auf der Eisfläche stand.
    Nun waren zwei Lichtpunkte zu erkennen. Noch klein, aber sie wurden größer. Erst jetzt wurde dem Mann schlagartig klar, dass nicht nur sein Wagen wie auf dem Präsentierteller dastand. Er selbst tat das ebenfalls.
    Er blickte sich hektisch um, erkannte an der Böschung ein kleines Gebäude, an dessen Wand ein gelbes Schild mit einem Blitzsymbol befestigt war. Ein Verteilergebäude. Nicht groß, aber groß genug. Geduckt lief er dorthin. Hockte sich in den Schnee. Presste sich an die dem Parkplatz abgewandte Mauer. Starrte weiter auf die Eisfläche und hoffte, dass der verdammte Kombi endlich absoff. Wieder hörte er ein Knacken. Und dann ein Krachen. Die Front seines Autos senkte sich mit einem Ruck ab, verschwand bis zur Hälfte in der Öffnung. Schwarzes Wasser quoll hervor.
    Der Mann biss sich in den Knöchel seiner Hand, rutschte mit den Knien dicht an den Oberkörper, um sich so klein zu machen wie möglich. Das Motorengeräusch hinter ihm wurde lauter. Er sah nach links und erkannte den Lichtkegel der Autoscheinwerfer. Schließlich schien der Wagen anzuhalten. Vielleicht zehn Meter vor dem Verteilerhäuschen, wo der Mann kauerte und nun die Luft anhielt, um seinen Standort nicht durch Atemfahnen zu verraten.
    Wieder gab es vom Eis her ein Krachen und Knirschen. Nun brach auch das Heck des Kombis ein – gerade in dem Moment, als im Rücken des Mannes ein Strahler entflammte und die Begrenzung des Parkplatzes sowie den Beginn der Böschung in gleißendes Licht tauchte. Mach schon, Scheißkarre, dachte der Mann und kniff die Augen zusammen. So fest, dass er Tränen unter den Lidern hervorpresste. Der Puls hämmerte in seiner Halsschlagader.
    Als er die Augen wieder öffnete, war der Kombi endlich verschwunden. Eisschollen ploppten dort hoch, wo er eben noch gestanden hatte. Sie bildeten eine ebene Fläche, die wie eine zerbrochene Kachel aussah – gerade in dem Moment, als das Licht des Scheinwerfers über die Böschung strich, das Ufer abtastete und sich dann seinen Weg entlang des Waldrands suchte.
    Gott sei Dank, dachte der Mann, obwohl er nicht an Gott glaubte. Gott sei Dank.
    Seine Lungen brannten vom Luftanhalten. Lange würde er nicht mehr durchhalten, und er überlegte, ob er in seinen Schal atmen könnte. Würde die Wolle den Dampf filtern? Schlagartig wurde es dunkel. Der Suchscheinwerfer war ausgeschaltet worden. Reifen gruben sich durch den Schnee. Es klang, als riebe man Styropor aneinander. Das Schnurren des Motors wurde wieder leiser. Der Wagen verschwand.
    Der Mann sog die eiskalte Luft ein wie ein Ertrinkender. Er verharrte in seiner Position, bis um ihn herum nur noch Stille war. Erst dann stand er auf. Jetzt erst bemerkte er, dass er vor Aufregung zitterte. Tränen strömten ihm über die Wangen. Er schluchzte tief, was seinen Körper erbeben ließ. Es war so unfair, dachte er. Ungerecht. Es tat so schrecklich weh, auf diese Art gedemütigt zu werden. Beinahe hätten sie ihn erwischt, und jetzt musste er den langen Weg zu Fuß zurück in die Stadt schleichen. Mitten in der Nacht und bei dieser Kälte.
    Es dauerte einige Minuten, bis er sich gesammelt hatte. Dann

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