Totenmond
wechseln. Dann wären sie hinter dem Golf. Und Alex vor ihm. Wenn Alex also versuchen würde, ihn zu blockieren, säße er in der Falle.
Sie riss die Augen weit auf und sah nach links und rechts, um sich einen Überblick zu verschaffen. Packte das Lenkrad fester. Starrte wieder in den Rückspiegel. Der Golf war immer noch da. Das Blaulicht ein Flimmern im Hintergrund. Wenn sie jetzt eine Vollbremsung hinlegte, würde es einen heftigen Auffahrunfall geben. Unbeteiligte würden darin verwickelt werden – und der Verkehr floss hier immerhin mit sechzig Stundenkilometern. Vor ihr öffnete sich die Straße zu einer großen Kreuzung. Platz genug, dachte Alex. Andere Autos hätten genug Raum, um ausweichen zu können. Aber sollte sie das wirklich riskieren?
Und jetzt vollzog der Golf einen heftigen Ruck auf die rechte Fahrspur. Verschwand hinter Alex. Der Fahrer musste das Blaulicht erkannt haben und wollte sich absetzen. Er nahm Alex damit die Entscheidung ab. Sie dachte: Jetzt oder nie.
Alex biss die Zähne zusammen, riss das Lenkrad herum und stieg gleichzeitig auf die Bremse. Es gab einen heftigen Ruck. Auf der schneeglatten Fahrbahn brach das Heck des Mini aus. Er drehte sich um die eigene Achse und rutschte mitten in den Verkehr auf der rechten Fahrspur. Alex hörte Hupen. Erkannte um sich herum ein Feuerwerk aus Abblendlichtern, Bremsleuchten und Ampelsignalen. Schließlich stand sie mit dem Mini quer mitten auf der Kreuzung und sah, wie sich direkt vor ihr ein dunkler Golf Kombi mit röhrendem Motor seinen Weg über den Bürgersteig bahnte und die Front ihres Wagens dabei fast abrasierte.
Als Nächstes nahm Alex wahr, wie ein Stadtbus mit der Längsseite auf sie zurutschte. Sie duckte sich. Es wurde mit einem Mal dunkel im Wagen, als der Schatten des Busses den Mini erreichte. Lautes Schnaufen, als dessen Bremsen entlüfteten. Aber ein Aufprall blieb aus. Alex blickte wieder auf. Der Bus stand nun ebenfalls quer auf der Kreuzung. Weitere Fahrzeuge bremsten ab. Ein ohrenbetäubendes Hupkonzert und Aufblenden war die Folge, als der Feierabendverkehr vollends zum Erliegen kam.
Alex sprang aus dem Wagen. Sie riss den Kopf herum, sah aber nirgends mehr den Kombi. Dafür die Lichter der beiden Polizeiwagen, die sich durch den aufgestauten Verkehr wühlten. Einer raste halb über den Bürgersteig, halb auf der Straße auf sie zu. Der andere nahm den Weg über den Parkplatz des Baumarkts, um hinter der Kreuzung wieder auf die Fahrbahn zu gelangen. Schließlich bremste der erste Streifenwagen. Kam kurz vor dem Bus zum Stehen. Ein Blondschopf streckte den Kopf aus dem Fenster. Finja. Sie hatte Alex und ihren Wagen erkannt.
»Wo isser hin?«, schrie sie.
Es gab drei Möglichkeiten. Er war geradeaus auf dem Innenstadtring weitergefahren. Er war von der Kreuzung nach links ins Zentrum abgebogen. Er hatte den Wagen nach rechts gesteuert, wo es ins Gewerbegebiet und wieder zur Bundesstraße ging. Auf dem Stadtring tobte der Verkehr. Das Zentrum war ein Gewirr aus Einbahnstraße und eine Falle. Alex hatte keine Ahnung, welchen Weg der Kerl genommen hatte – aber sie wäre ins Gewerbegebiet geflohen.
Sie rief zurück: »Keine Ahnung! Ich schätze ins Gewerbegebiet!«
Finja hatte verstanden und hob die Hand. »Schaff deinen Wagen von der Kreuzung, Alex!«
Im nächsten Moment gab der Streifenwagen wieder Vollgas und bog nach rechts ab. Weiteres Geheul von Martinshörnern war zu hören – zwei Streifenwagen, die in Richtung Zentrum preschten. Schließlich übertönte Hupen die Sirenen.
Alex blickte auf und sah in die Gesichter von Menschen, die sich an den Busfenstern die Nasen platt drückten. Passanten waren auf dem Bürgersteig stehen geblieben, um sich die Sache zu beschauen. An einigen der querstehenden Autos waren die Seitenscheiben herabgelassen worden. Die Fahrer fluchten und riefen Alex Dinge zu, die sie in dem Hupkonzert nicht verstand. Einer war sogar ausgestiegen und beschimpfte Alex fuchsteufelswild als »blöde Ziege«. Sie machte abwehrende Gesten, griff in ihre Tasche und zog den Dienstausweis und ihre Marke hervor und rief: »Polizeieinsatz! Tut mir leid! Polizei!«
»Das ändert überhaupt nichts!«, brüllte sie der Mann mit hochrotem Kopf an.
Alex machte erneut eine entschuldigende Geste und hielt dem Kerl ihren Ausweis hin, worauf der nur wutschnaubend abwinkte. Dann stieg sie schnell wieder in den Mini, schaltete den Warnblinker ein und wühlte sich mit dem Wagen durch das Chaos, wobei sie
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