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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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weiterhin ihren Ausweis mit der Marke mit der freien Hand vor die Windschutzscheibe hielt. Schließlich erreichte sie den Supermarktparkplatz. In einer Haltebucht blieb sie stehen. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und atmete einige Male tief durch. Schließlich sah sie wieder nach vorne zur Kreuzung, wo der Bus und die anderen Fahrzeuge rangierten und endlich weiterfuhren.
    Gott sei Dank, dachte Alex, war nichts passiert. Alles, was sie jetzt noch tun konnte, war abzuwarten. Die weitere Verfolgung des Tatverdächtigen war nun Sache der uniformierten Kollegen. Und früher oder später würde sie erfahren, ob sie ihn erwischt hatten – oder nicht. Dieses Mal hatte er sich zu weit aus seinem Versteck gewagt.
    Alex ließ den Motor wieder an, um zurück nach Hause zu fahren und der Dinge zu harren. »Dich bekomme ich«, murmelte sie zu sich selbst. »Dich bekomme ich.«

52.
    D er Kombi rumpelte im Leerlauf mit ausgeschaltetem Licht über den vereisten Schotter des Parkplatzes. Eingefasst von dunklen Tannen lag er außerhalb der Stadt am Ufer des Lemfelder Stausees. Alle Haltebuchten waren leer, gesäumt von aufgeschobenen Schneebergen. Aus dem diffusen Dunkel dahinter wuchsen die Umrisse des Überlaufturms und die Konturen der Staumauer empor. Wo sie begann, mündete der Parkplatz in eine Böschung. Sie führte hinab zur vereisten Wasserfläche, die aussah, als wäre sie gerade mit Schlagsahne bestrichen worden.
    Der Mann hielt an. Er hämmerte mit den Fäusten auf das Lenkrad und fluchte. Dummkopf, Idiot, Blödmann. Sein Speichel benetzte das Armaturenbrett. Er presste beide Hände gegen die Schläfen, und ihm entfuhr ein Jaulen. Die Finger fühlten sich eiskalt an. Eiskalt und nass, während ihm der Schweiß auf der Stirn stand. Er war viel zu weit gegangen. Hatte sich eitel aus der Deckung begeben, sich fahrlässig überschätzt und dafür die Quittung erhalten.
    Trotzdem war es verdammt ungerecht, dass diese tumben Taugenichtse und Nichtsnutze in Uniform ihm nun auf den Fersen waren. Aber es half nichts. Es gab keinen Weg mehr zurück in die Stadt. Sein Wagen war sicher zur Fahndung ausgeschrieben. Es würde überhaupt nichts bringen, wenn er nun die Kennzeichen abmontierte, die er damals als Trophäen von Antjes Wagen gestohlen hatte. Es würde überall von Polizisten wimmeln. Sie würden jeden Wagentyp, der seinem auch nur ansatzweise ähnelte, anhalten und überprüfen.
    Der Mann senkte den Kopf. Dann hob er ihn wieder an und blickte in Richtung des Sees, unfokussiert, so dass vor ihm alles verschwamm. Der Wagen musste verschwinden. Sofort. Was einerseits nicht so schlimm war. Er hatte ihn gebraucht und sehr günstig mit zweihunderttausend Kilometern auf dem Tacho gekauft und überhaupt nur deswegen angeschafft, weil ein Kombi für seine Zwecke praktischer war als eine Limousine. Künftig würde er auf sein anderes Fahrzeug zugreifen müssen. Nicht so gut, weil es deutlich auffälliger war als der Golf. Kein Allerweltswagen. Aber das ließ sich nun nicht mehr ändern.
    Der Mann trat die Kupplung durch, legte den ersten Gang ein und rollte auf die Böschung zu. Sie war nicht allzu steil, verlief in einem Gefälle von etwa zehn Prozent zum Ufer. Er nahm an, dass das Eis wegen der Strömungen nahe der Staumauer dünn sein würde und das Gewicht von über einer Tonne niemals würde halten können. Der Wagen würde versinken, und über Nacht würde sich eine neue Eisschicht bilden. Niemand würde anderntags etwas bemerken und auch später nicht – es sei denn, der See würde irgendwann einmal abgelassen oder ein Ölfilm auf der Oberfläche schwimmen, und ein Ölfilm könnte viele Gründe haben.
    Der Mann nahm den Gang heraus, zog den Zündschlüssel ab und stieg aus dem Wagen. Er schloss die Tür und lauschte in die Stille. Dann ging er um den Kombi herum und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Heckklappe. Er spürte, wie sich das Auto bewegte, und hörte die Reifen im verharschten Schnee knirschen. Schließlich setzte es sich von selbst in Bewegung und rollte die Böschung hinab.
    Der Mann verfolgte, wie der Kombi an Fahrt gewann. Schließlich erreichte er das Ufer. Die Vorderreifen setzten auf die Eisfläche auf. Danach die Hinterreifen. Durch den Schwung rollte der Wagen etwa dreißig Meter weit auf den Überlaufturm zu. Er wurde langsamer, immer langsamer und blieb stehen.
    Die Eisfläche begann zu singen. Es klang abwechselnd, als würden abgedämpfte Stahlsaiten gezupft und Äste

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