Totenmond
DNA-Schnelltest und eine Blutuntersuchung durchgeführt. Das Ergebnis sieht schlecht für ihn aus. Es passt zu den Spuren an den Opfern.«
»Damit«, sagte Schneider und öffnete seinen Gürtel ein Stück, »steckt er ziemlich tief in der Scheiße.«
»Sein Rechtsanwalt und der Staatsanwalt waren vorhin da«, erklärte Reineking. »Für Hankemeier ist Untersuchungshaft angeordnet worden. Veronikas Dobermänner knöpfen ihn sich schon die ganze Nacht lang vor. Es wurden zwei private Handys sichergestellt, ein Laptop, ein Tablet und ein PC, und sie nehmen heute Vormittag Hankemeiers Firma auseinander.«
Alex knibbelte an der Unterlippe und musterte das Gesicht auf dem Bildschirm. Hankemeier war attraktiv, sportlich, ein Frauentyp. Jemand, der einem von Anfang an vertraut schien, weil er dem Typus Mann entsprach, den man schon viele Male in Werbungen oder Prospekten gesehen hatte. Wahrscheinlich kam Alex deswegen irgendetwas an ihm bekannt vor. Hankemeier war erfolgreich im Beruf, hatte Geld und war Single. Frauen mussten ihn umschwirren wie Motten das Licht – und trotzdem hatte er es offenbar mehr auf lose Bettbekanntschaften abgesehen. Vielleicht hatte er sogar gezielt Kontakt zu Frauen gesucht, die wie er adoptiert waren. Zumindest dürfte es ihn angesprochen haben, wenn er von dieser Notiz in der Biographie seiner Gespielinnen erfuhr – was wiederum dafür sprechen würde, dass die Beziehungen tiefer gewesen sein mussten oder die Opfer sehr viel Vertrauen zu Hankemeier aufgebaut hatten. Andererseits wäre jemand wie ein intelligenter Psychopath charmant und geschickt genug, solche Informationen gezielt aus seinen Gegenübern herauszulocken. Sie überlegte, dass wahlloses sexuelles Verhalten und der exzessive Bedarf an aufregenden Erlebnissen sowie die Unfähigkeit zum Empfinden echter Liebe auch Kriterien für Psychopathie waren. Aber für so eine Diagnose wusste sie viel zu wenig über Hankemeier.
Sie fragte: »Steht er auf Musik?«
»Er hat eine sehr teure Anlage zu Hause und im Auto«, sagte Reineking. »Scheint ihm wichtig zu sein.«
»Hat er eine Art Zimmer, in dem er …«
»Er hat über seine Bekanntschaften Buch geführt. Ein kleines Notizbuch. Seine Mädels auf einer Zehnerskala bewertet. Außerdem ist ein VW Kombi auf ihn zugelassen. Firmenwagen.«
Alex zuckte zusammen, als sich die Tür öffnete. Es war Veronika Martens. Sofort schien die Temperatur im Zimmer zu sinken. Veronika trug einen karierten Rock, ein selbstgefälliges Lächeln sowie ein Papptablett mit einigen belegten Brötchen in der Hand. Eine goldene Brosche funkelte an ihrem schlammfarbenen Pullover.
»Morgen zusammen«, sagte Veronika. »Ein kleines Frühstück zu meinem Einstand, jemand Appetit?«
Als niemand außer Schneider zugriff, stellte sie das Tablett auf den Tisch neben die Steuerungskonsole und warf einen Blick auf den Bildschirm. Dann sah sie zu Alex. »Sie waren gestern bei der OFA?«
Alex starrte auf die Brötchen und fragte: »Wieso erfahren wir von der Festnahme erst jetzt?«
»Hat sich vorher nicht ergeben. Mettwurst, Schinken, Lachs und Ei. Greift zu.«
Alex griff nicht zu. Sie wartete ab, ob jemand etwas sagen würde. Reineking etwa. Wenn, dann vor allem er. Aber niemand sprach. Nur Veronika fragte erneut: »Also, was war mit der OFA?«
Alex sog tief die Luft ein und stieß sie beim Antworten wieder aus. »Stemmle hat gesagt, wir sollen ihm alles Material nebst Anträgen zuschicken. Es würde allerdings einige Wochen dauern, und so lange müsse man eben mit mir vorliebnehmen.«
Veronika strich sich den Rock glatt. »Gut, dann machen Sie die Anträge fertig, Alex. Beziehungsweise: Du. Ich finde, wir können endlich mal das blöde Sie weglassen, nicht?«
Alex kaute auf der Unterlippe. Schneider kaute an seinem Brötchen. Reineking starrte Löcher in die Wand.
Alex fragte: »Kann ich mit Hankemeier reden?«
»Nein«, antwortete Veronika. »Ich will die Vernehmung nicht aus der Hand geben. Die Kollegen machen das.«
»Deine Kollegen«, verbesserte Alex.
»Unsere Kollegen.« Veronika verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Alex. Dann sah sie auch Schneider und Reineking an, die unbeteiligt an Veronika vorbeiblickten.
Veronika erklärte: »Natürlich passt es euch nicht, dass die Festnahme nicht auf euer Konto geht. Aber das hier ist keine Soloshow.«
Sie machte eine kurze Pause. Keine Soloshow, dachte Alex. Aber genau die hatte Veronika abgezogen. Und Reineking verlor nach wie vor kein Wort
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