Totenmond
ViCTOR-Ausdrucke auf dem Bistrotisch aus, »sind zwei deutsche Krankenschwestern in Afrika an der Elfenbeinküste ums Leben gekommen. Die Umstände ihres Todes sind vergleichbar mit unseren Fällen. Die Totenscheine wurden von einem skandinavischen Arzt ausgefüllt. Er war der Leiter eines Dschungelkrankenhauses, in dem die beiden jungen Frauen gearbeitet hatten. Tod durch Raubtierangriff war auf den Totenscheinen vermerkt. Allerdings, und das hat mich stutzig gemacht, sind die entsprechenden Urkunden und Dokumente für die deutschen Behörden von der Mordkommission der Gendarmerie in Abidjan überstellt worden. Es gab also Ermittlungen. Die Todeszeitpunkte habe ich mit einem Kalender verglichen: Es war jeweils Vollmond. Und ich glaube, das ist eine Konstante. Er schlägt immer bei Vollmond zu.«
»Du meinst«, fragte Reineking ungläubig, »dass unser Mann bereits in Afrika zugeschlagen hat?«
»Es spricht einiges dafür«, erwiderte Alex. Sie schilderte, was ihr der Züricher Ethnologe über die Zeichen mitgeteilt hatte.
Kowarsch krempelte sich die Ärmel auf. Er schien bereits zu schwitzen. »Scheiße, ist das so eine Voodookacke? Und was soll das jetzt heißen? Der Typ, den Veronika festgenommen hat, ist der Falsche? Stattdessen suchen wir irgendeinen durchgeknallten Asylbewerber?«
Alex verdrehte die Augen.
»Farbiger mit Migrationshintergrund wollte er sagen«, meinte Schneider.
»Was ist deine Hypothese, Alex?« Reineking trank etwas Schokolade.
Alex zögerte und schob einen Beutel Zucker auf dem Tisch herum. »Es ist wirklich nicht mehr als eine vage These …«
»Schieß endlich los«, sagte Schneider, nahm mit dem Finger ein paar Kuchenkrümel auf und ließ sie im Mund verschwinden.
»Es klingt ziemlich verrückt, aber … Aber ich könnte mir vorstellen, dass der Täter sich für eine Art Werwolf hält, einen Gestaltenwandler, der sich in eine Raubkatze transformiert und zu bestimmten Zeitpunkten seine Beute schlägt. Er tötet bei Vollmond, weil der Mond ihn verwandelt und zugleich fasziniert. Er kündigt seine Morde vierundzwanzig Stunden vorher an, um uns Zeit zu geben, ihn zu stoppen. Das ist sein Spiel – er ist ein Jäger, und es macht ihm Spaß, ebenfalls gejagt zu werden. Er gibt uns in den Liedtexten Hinweise auf sich selbst, seine Leidenschaft für den Mond und die Orte, an denen er zuschlagen wird. Er wählt Frauen aus, die Waisen sind, Adoptierte, Doppelexistenzen geführt haben und sich sexuell offensiv verhalten. Möglicherweise ist er selbst ein Waise und hat negative Erlebnisse mit Prostitution gehabt. Weiter hat er sich eine Zeitlang in Afrika aufgehalten, was den Täterkreis einschränkt.«
Reineking sagte: »Du hast es eben selbst von Veronika gehört: Bei Hankemeier sind bislang keine Auslandsaufenthalte bekannt. Der Mann hatte in Lemfeld ein Geschäft zu führen. Allerdings stehen wir erst am Anfang der Ermittlungen. Unabhängig davon hat er Kontakte zu den Opfern zugegeben. Seine DNA fand sich bei mindestens zwei Opfern. Seine Handys sind noch nicht ausgelesen, die E-Mails ebenfalls noch nicht – aber garantiert werden wir irgendwelche telefonische oder Mail-Kontakte zu den Opfern bestätigen. Er ist der Hauptverdächtige, und sie krempeln derzeit sein Leben von links nach rechts – da wird sicher noch mehr herauskommen.«
»Vielleicht habe ich ja auch unrecht«, schränkte Alex ein. »Aber ich habe keinen Schimmer, aus welchen Gründen sich ein Gerüstbauer wie Hankemeier in diesem Teil Afrikas aufgehalten haben sollte.«
»Ein karitatives Hilfsprojekt«, sagte Reineking.
»Komm, dazu ist der nicht der Typ. Kann ich mir zumindest nicht vorstellen.«
»Vielleicht auch beruflich. Irgendwelche Baumaßnahmen, Aufträge. Keine Ahnung.«
»Wie auch immer, Afrika spielt eine Rolle, richtig?«
Reineking zuckte mit den Schultern.
»Bald ist wieder Vollmond. Spätestens dann wird wieder ein neuer Text in meinem Briefkasten landen – oder eben nicht. Und dann werden wir wissen, ob Elmar Hankemeier wirklich der ist, den wir suchen. Aus der Haft wird er kaum Briefe versenden.«
»Die Beweislast gegen Hankemeier ist erdrückend«, redete Reineking dazwischen.
»Vielleicht ist er nur eine arme Sau«, sagte Schneider. »Vielleicht hängt ihm der eigentliche Täter an den Hacken und grast Hankemeiers Liebschaften ab.«
Alex schwieg eine Zeitlang. Dann fuhr sie fort: »Was die Taten in Afrika angeht, wird es nicht einfach sein, mehr Details in Erfahrung zu bringen.« Sie
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