Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
ausgebreitet und auf dem Grund des frisch ausgehobenen Grabens. Zwischen den menschlichen Überresten erkannte ich Holzsplitter und verrostete Nägel.
Das war nicht schwer. Hier waren Leichen in Särgen beigesetzt worden.
Später bestätigten Archäologen mein Urteil. Bis eine Cholera-Epidemie Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Schließung erzwang, hatte sich an der Stelle, wo jetzt die Kathedrale auf den Verkehr auf dem René-Lévesque-Boulevard herabschaut, ein Friedhof befunden. Der Bautrupp war über ein paar Verblichene gestolpert, die man bei der Verlegung des Friedhofs übersehen hatte.
»Sie glauben, dass dieses verdammte Gebäude über unmarkierten Gräbern errichtet wurde?«, fragte ich. »Ich habe keine Hinweise auf Särge gefunden.«
Frankokanadier sind Meister des Achselzuckens, wobei sie subtile Zusatzgesten der Hände, der Augen, der Schultern und der Lippen benutzen, um unzählige Bedeutungsnuancen auszudrücken. Ich bin Ihrer Meinung. Ich bin nicht Ihrer Meinung. Das ist mir gleichgültig. Was kann ich denn tun? Wer weiß? Sie sind ein Narr. Wie Sie wollen.
LaManche hob eine Schulter und beide Brauen. Ein »Vielleicht, vielleicht nicht«-Achselzucken.
»Haben Sie mit Authier über die Radiokarbon-Datierung gesprochen?«, fragte ich.
»Dr. Authier hat im Augenblick Gäste vom marokkanischen Gerichtsmedizinischen Institut. Ich habe ihm die Nachricht hinterlassen, dass er mich zurückrufen soll.«
»Dieser Test braucht Zeit.« Ich verbarg meine Verstimmung nicht.
»Temperance.« LaManche war der einzige Mensch auf dem Planeten, der mich so nannte. Aus seinem Mund klang der Name beinahe wie eine kleine Melodie. »Sie nehmen sich diese Sache viel zu sehr zu Herzen.«
»Ich glaube einfach nicht, dass diese Knochen alt sind. Sie fühlen sich nicht so an, sehen nicht so aus. Der Kontext stimmt nicht. Ich …«
»Sind diese Mädchen letzte Woche gestorben?« Das Hundegesicht wurde schlaff vor Geduld.
»Nein.«
»Ist es sehr dringend?«
Ich sagte nichts.
LaManche sah mich so lange an, dass ich schon glaubte, seine Gedanken wären ganz woanders. »Schicken Sie Ihre Proben weg. Ich kümmere mich um Dr. Authier.«
»Vielen Dank.« Am liebsten hätte ich ihn umarmt.
»Unterdessen wird das dritte Skelett uns wichtige Informationen liefern.« Mit diesem nicht so subtilen Hinweis wandte LaManche sich wieder seinem Gehirn zu.
In Hochstimmung fuhr ich nach unten und zog mir Chirurgenkluft an.
Lisa hielt mich auf meinem Weg zum Autopsieraum vier auf. Das Brandopfer aus dem Wohnwagen hatte keine Zähne, kein künstliches Gebiss und keine Fingerkuppen mehr. Die Identifikation war problematisch, und Dr. Pelletier wollte meine Meinung.
Ich sagte Lisa, dass ich in einer halben Stunde zu Dr. Pelletier kommen würde.
Schnell schnitt ich ein etwa zweieinhalb Zentimeter langes Stück aus der Schaftmitte jedes Oberschenkelknochens, fuhr nach oben, loggte mich ins Web ein und ging auf die Seite des Labors in Florida, das die Analyse durchführen würde. Ich klickte das Probendatenblatt an, gab die verlangten Informationen ein und forderte einen Beschleunigungsmassenspektrometer-Test an.
Beim Abschnitt Lieferung zögerte ich. Der normale Service dauerte zwei bis vier Wochen. Express-Service bedeutete, dass ich die Ergebnisse schon in sechs Tagen bekommen konnte.
Zu einem deutlich höheren Preis.
Was soll’s. Wenn Authier sich quer stellte, würde ich es selbst bezahlen.
Ich kreuzte das zweite Kästchen an und klickte auf Senden.
Nachdem ich die Beweismitteltransfer-Formulare ausgefüllt hatte, gab ich Denis die Adresse und bat ihn, die Proben zu verpacken und sofort mit FedEx loszuschicken.
Wieder nach unten.
Ich musste Pelletier zustimmen. Der Besitzer des Wohnwagens war ein vierundsechzigjähriger weißer Mann. Die Leiche auf dem Tisch trug die verkohlten Reste eines BHs und Handschellen.
Okay. Der Kerl war also verkorkst.
Von wegen. Röntgenaufnahmen zeigten ein Diaphragma in der Mitte des Beckens.
Es war später Nachmittag, als wir das Problem endlich gelöst hatten.
Das Opfer war weiblich, weiß und zahnlos, mit verheilten Frakturen der rechten Speiche und beider Nasenknochen. Die Frau war zwischen fünfunddreißig und fünfzig Jahre alt.
Wo war Mr. Wohnwagen? Das war nun ein Problem für die Polizei.
Um 15 Uhr 40 war ich gewaschen, umgezogen und im Aufzug nach oben. Auf dem Weg zu meinem Büro holte ich mir ein Diet Coke und zwei Donuts mit Puderzucker.
Das Telefon blinkte
Weitere Kostenlose Bücher